Was fehlt uns zum Glück? (Uraufführung) - Werkstatt - kultur Nr. 181 - November 2023

Fragebogen - Was fehlt uns zum Glück?
Foto: Markus J. Bachmann
Fragebogen - Was fehlt uns zum Glück?
Foto: Markus J. Bachmann

Fragebogen von Max Frisch in der Werkstatt
Heiteres Fragespiel

„Sind Sie sicher, dass Sie die Erhaltung des Menschengeschlechts, wenn
Sie und alle Ihre Bekannten nicht mehr sind, wirklich interessiert?“

So lautete die erste Frage des ersten von zehn Fragebogen, die der Schweizer
Schriftsteller Max Frisch (1911 – 1991) in seinem literarischen Tagebuch
1966 bis 1971 formulierte. Später kamen noch vier Listen mit jeweils
25 Fragen hinzu. Insgesamt 350 Fragen also, die existenzielle Themen
verhandeln wie Liebe, Tod, Freundschaft, Ehe, Heimat, Moral und Humor. „Gibt es einen klassenlosen Humor?“ oder „Warum scheuen
Revolutionäre den Humor?“ beispielsweise. Über mögliche Antworten
darf jeder selbst nachdenken.
Kann man einen Fragenkatalog auf die Bühne bringen? Die Regisseurin
Katrin Plötner und die Dramaturgin Sarah Tzscheppan haben das mit
dem Stück Was fehlt uns zum Glück? geschafft, und zwar höchst vergnüglich.
Das Bühnenbild von Bettina Pommer erscheint wie ein weiß
gekachelter Raum mit blauen Fugen und ein paar ebensolchen geometrischen
Objekten. Dazwischen fünf Menschen mit entsprechend gemusterten
Kostümen (Johanna Hlawica). Die lebendigen Figuren verschmelzen
mit ihrer Umgebung zu einem großen Sprachspiel. Wilhelm
Eilers, Christoph Gummert, Alois Reinhardt, Lydia Stäubli und Sandrine
Zenner agieren wie personifizierte Fragezeichen, mal nachdenklich, mal
hinterhältig, mal mit einem leichten Augenzwinkern. „Wenn Sie sich beiläufig
vorstellen, Sie wären nicht geboren worden: Beunruhigt Sie diese
Vorstellung?“ – „Möchten Sie unsterblich sein?“
Nach und nach gerät die Fragemaschine in Bewegung (Choreografie: Zo?
Knights, Musik: Frieder Hepting). Die Schauspielerinnen und Schauspieler
lösen sich aus ihrer Vereinzelung und beginnen zu interagieren. Was
wiederum Aktivitäten in den Köpfen des Publikums auslöst. Unwillkürlich
sucht man nach Antworten und nimmt die Diskursangebote auf.
„Genießen Sie moralische Entrüstungen?“ – „Braucht die Moral eine Polizei
oder umgekehrt?“ – „Gesetzt den Fall, die moralischen Gesichtspunkte
würden abgeschafft: glauben Sie, dass es beispielweise auf den
Kriegsschauplätzen anders zuginge?“ Plötzlich sind wir mitten in der
Gegenwart. „Muss eine Hoffnung, damit Sie in ihrem Sinn denken und
handeln, nach Ihrem menschlichen Ermessen erfüllbar sein?“
Beim sauber sortierten Fragebogen-Katalog
bleibt die Inszenierung indes nicht stehen. Mit anarchischer Lust macht das Ensemble aus der aseptischen
Geometrie einen Kinderspielplatz. Sie grinsen durch einen riesigen Monopoly-Schein,
ein Weihnachtsbaum singt „Am Brunnen vor dem Tore“, und ein grüner Dinokopf bleckt die Zähne. Von der infantilen Spaßgesellschaft geht’s gleich zurück in die Steinzeit. Bis die wilde
Maskerade in einer wüsten Farbenschlacht endet. Eine Einladung zum Nachdenken über die Brüchigkeit unserer Zivilisation. Und zum Weiterdenken anhand des während des Probenprozesses
entstandenen 15. Fragenbogens. (E.E.K.)

Montag, 03.06.2024

Zurück

Merkliste

Veranstaltung

Momentan befinden sich keine Einträge in Ihrer Merkliste.



Letzte Aktualisierung: 11.02.2025 13:01 Uhr     © 2025 Theatergemeinde BONN | Bonner Talweg 10 | 53113 Bonn