Der singende Teufel - Oper - Kultur Nr. 179 - Sommer 2023

Gespenstische Orgelmacht

Aggressiver christlicher Fundamentalismus gegen alte germanische Naturreligionen. Kampf der Mönche gegen heidnische Magie. Frühlingsopfer, Glaubenskrieg und apokalyptische Feuersbrunst. Romantischer Märchenzauber und spätexpressionistische Künstlertragödie. Der komplexe Stoff, vom Komponisten selbst erdacht und zum Libretto verdichtet, ist ein sperriger Brocken. Warum Franz Schrekers Oper Der singende Teufel seit der von antisemitischen Nazi-Anhängern massiv gestörten Uraufführung im Dezember 1928 nicht mehr in der Originalfassung auf die Bühne kam und im Gegensatz zu anderen Werken des einstigen Stars der Musiktheaterwelt keine Renaissance erlebte, bleibt ein wissenschaftliches Forschungsthema.
Dass das Theater Bonn die Inszenierung der ­jungen Regisseurin Julia ­Burbach anvertraut hat, ist ein Glücksfall. Ihr Zugang ist musikalisch sinnlich und choreografisch raffiniert. Allerdings auch so abstrakt, dass der dramatische Plot sich nicht direkt erschließt. Sie holt die Geschichte aus dem historischen Kontext des frühen Mittelalters heraus und erzählt keine lineare Märchenstory, sondern die Zweifel eines Künstlers an sich selbst und seinem Werk. Der Protagonist Amandus Herz ist hier ein mögliches Alter Ego des Komponisten, gefangen zwischen produktivem Schaffensdruck, Angstneurosen, Liebessehnsucht und politischer Gewalt. Der ideologische Missbrauch der Kunst wird zwar nicht plakativ in den Vordergrund gestellt, ist aber ständig spürbar.
Sängerisch und darstellerisch phänomenal gestaltet der Tenor Mirko Roschkowski (ehemals Bonner Ensemble-Mitglied, inzwischen als freiberuflicher Star in der internationalen Opernszene unterwegs) die tatsächlich höllenschwere Partie des jungen Orgelbauers Amandus. Traumatisiert vom Flammentod seines Vaters, möchte er dessen monumentales Werk lieber nicht neu beginnen. Unter dem Einfluss des strenggläubigen Paters Kaleidos (großartig als asketischer philosophischer Führer: der Bass Tobias Schabel) begibt er sich dennoch an die Vollendung der Riesenorgel, die alle Heiden in Schrecken versetzen soll. Amandus‘ Plan sieht friedliche Klänge vor, aber im entscheidenden Moment versagen die sanften Register seines Meisterwerks. Statt der erhofften Versöhnung folgt eine gegenseitige Eskalation der Gewalt.
Die Mezzosopranistin Dshamilja Kaiser ist als Hohepriesterin Alardis, Vertreterin der autochthonen Muttergottheiten, der farbige Gegenpol zur dunklen Welt der Mönche. Zutiefst berührend verkörpert die Sopranistin Anne-Fleur Werner die schöne Waldnymphe Lilian, die sich in Amandus verliebt, ihn als Anführer der Heiden gewinnen möchte, aber der rituellen Opferung nicht entkommt. Grausam vergewaltigt und misshandelt, sucht sie Schutz bei dem vom schrecklichen Misslingen seines Werks verstörten Geliebten und wird zu seiner Retterin. Der Bass Pavel Kudinov gibt den brutalen Ritter Sinbrand von Fraß. Der Tenor Carl ­Rumstadt erscheint als maurischer Pilger, dem Schreker bewusst Texte eines mittelalterlichen arabischen Dichters und Religionsskeptikers in den Mund legte.
Ausstatter Dirk Hofacker (Bühne und Kostüme) illustriert die Handlung mit starken Bildern. Die Bühne mit unzähligen schwarzen Stühlen an den Wänden ist ein geschlossener hoher Sakralraum, klösterlich abgeschottet gegen den Rest der Welt. Wenn sich die stählerne Konstruktion öffnet, erscheint dahinter die helle Felsschollen- und Höhlenlandschaft der naturverbundenen „Ungläubigen“. Autonom und ­animalisch maskiert feiern sie ihre wilden Feste, während die ­Christen in ihrer festen Burg gefangen bleiben wie im Innern einer Wahnsinnsorgel. In einem Meer aus Notenpapier droht Amandus zu ertrinken, fängt sich aber wieder mit Lilians Hilfe. Um ihren Geliebten von seinen Albtraum-Visionen zu befreien, zündet sie schließlich seine Orgel an und bricht danach tot zusammen.
Chor und Extrachor des Theater Bonn unter der Leitung von Marco ­Medved, etliche Gesangssolisten in kleineren Partien und ein siebenköpfiges Tanz-Ensemble (Choreografie: Cameron McMillan) sorgen für Bewegung zwischen den Welten. Hauptakteur und eigentliches Motiv aller Bühnenaktionen ist jedoch die Musik unter der Leitung des Bonner Generalmusikdirektors Dirk Kaftan. Das Beethoven Orchester Bonn spielt alle Farben und Schattierungen der Partitur mit großartiger Präzision heraus. Das Ganze ist ein Klangerlebnis für sich, voller irritierender Zwischentöne, aber auch für harmonieliebende Ohren durchaus eingängig.
Dass bis auf die Hauptfigur alle großen Partien der aufwändigen Produktion (vorläufig die letzte im Rahmen des vom Land NRW geförderten Projekts „Focus ‘33“) mit Mitgliedern des festen Bonner Ensembles besetzt werden konnten, ist ebenso bemerkenswert wie die sorgfältige Rekonstruktionsarbeit, die nun das Original wieder zugänglich macht. Dankbarer Premerenbeifall! E.E.-K.
Spieldauer ca. 2 ¾ Stunden inkl. Pause
Die Letzten Aufführungen: 10.06. // 16.06.23

Dienstag, 01.08.2023

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