Der aufhaltsame Aufstieg des Arturo Ui - Schauspielhaus - Kultur Nr. 179 - Sommer 2023

Vom Gangster zum Führer

Intrigen, Korruption, Manipulation, Mord – Brechts 1941 im finnischen Exil verfasste „Historienfarce“ ist eine bitterböse Parabel auf die Mechanismen von Kapital und Politik. Die Regisseurin Laura Linnenbaum, die in Bonn 2017 bereits sehr erfolgreich Brechts Heilige Johanna der ­Schlachthöfe auf die Bühne brachte, hat den ebenfalls in Chicago angesiedelten Aufhaltsamen Aufstieg des Arturo Ui als düstere Groteske zwischen messerscharfem Witz und Wahnsinn inszeniert. Hitlers Weg an die Macht bleibt zwar als geschichtlicher Hintergrund präsent, ist aber nicht der zentrale Beweggrund der Vorstellung. Naheliegenden Aktualisierungen geht sie nicht auf den Leim, sondern setzt auf große Bildeffekte und ein Schauspiel-Ensemble, das mit ­beein­druckender körperlicher Energie das Theater zum gespenstischen Schlachtfeld macht. Geschminkt wie Zombies mit roten Augenlidern, maskiert mit weißen Zottelperücken und grau gekleidet (Kostüme: Philipp Basener) reden sie im hohen Jambenton klassischer deutscher Dramen, während sie Lügen spinnen und wie Marionetten zappeln an den imaginären Fäden des von ihnen selbst vom kleinen Ganoven zum Big Player erhobenen Diktators.
Auf der kahlen schwarzen Bühne von Valentin Baumeister stapeln sich Tische zu Herrscher-Pyramiden, auf ganzer Breite fährt die Hebemaschinerie Bodenteile auf und ab zwischen Hölle und Himmel. Der rote Samtvorhang kann Königsmantel, Decke eines auf Putin-Format verlängerten Tisches sein oder Leichentuch für die unvermeidlichen Opfer. Denn Ui, ambitionierter Arbeitersohn aus der Bronx, erledigt Probleme gern zügig mit dem Browning. Christian Czeremnych spielt den aus kleinkriminellem Milieu zur Schutzmacht des Karfioltrusts avancierenden jungen Mann (Vorbild der Figur war neben Hitler der legendäre Mafiaboss Al Capone) fabelhaft. Er ist der blonde Jüngling und romantische Prinz der ­Finsternis, der anfangs Kohl-, dann auch Menschenköpfe rollen lässt, um mit Geld und rücksichtsloser Gewalt alle Spielverderber auszuschalten.
Denn gebeutelt von der Wirtschaftskrise ist das Geschäft der Gemüseproduzenten eingebrochen. Der Blumenkohl (österreichisch: Karfiol) verfault auf den Märkten. Wer nicht genug verkauft, sieht seinen Laden also bald in Flammen, wenn er keine entsprechenden Schutzgelder an Uis Organisation zahlt. Doch der ehrenwerte Karfioltrust strebt nach Gewinn-Maximierung. Der als integer bekannte alte Politiker Dogsborough (Vorbild: Reichspräsident Hindenburg) wird zum Erwerb einer maroden Reederei überredet, somit erpressbar und landet wegen Korruption vor Gericht. Andreas Leupold spielt tapfer den naiven Polit-Oldie und später den Ignatius Dullfeet (der österreichische Bundeskanzler Dollfuß), der die Verweigerung des Anschlusses seines Landes Cicero an Uis Chicago-Imperium nicht lange überlebt. Sophie Basse glänzt u. a. als Ciceros First Lady und trauernde Witwe Betty, inklusive Slapstick-Rammelei mit dem Eroberer.
Großartig ist Bernd Braun als Ansager in Brecht-Lederjacke mit Zigarre und als der fiktive Schauspieler, der mit mephistophelischer Gründgens-Artikulation dem Gangster die rhetorische Massenverführung beibringt – anhand der „Antonius-Rede“ aus Shakespeares Drama Julius Caesar. Hoch oben unterm Bühnenhimmel zelebriert Arturo Ui dann mit dem ­Rücken zum realen Publikum wie ein Popstar seine im Hitlerton schnarrende demagogische Rede vom Glauben ans Volk und die eigene Führermission. Timo Kählert als getreuer Leutnant Ernesto Roma (Ernst Röhm), Lena Geyer als diabolisch kicherndes Gangster-Groupie Giri (Hermann Göring) und Jacob Z. Eckstein als Blumen- und Rauschhändler Givola (Joseph Goebbels) liefern schrille Karikaturen des Gefolges ihres Idols.
Ursula Grossenbacher und Wilhelm Eilers als Führungsfiguren des Grünzeug-Trusts bzw. Richterin und Verteidiger sorgen dafür, dass jeder Prozess das investierte Bestechungsgeld lohnt. Riccardo Ferreira als Sheet, Bowl und Hook kommt nicht so leicht aus der Gefahrenzone. Wer’s ehrlich meint, hat halt wenig Chancen in der Perfomance-Politik mit variabler Moral. Sympathische Figuren gibt’s nicht in Brechts Drama. Die Gerichtsszene zieht sich in der intelligenten Neuinterpretation etwas hin, auch sonst täten ein paar Kürzungen dem sehr langen Abend gut.
Der bekannte Epilog („Der Schoß ist fruchtbar noch, aus dem das kroch“), ist gestrichen, aber das Signal am Schluss ist deutlich: Uis Anhänger erscheinen in Shirts mit einem Logo, das dem einer rechten deutschen Partei gleicht. Energischer Premierenbeifall, insbesondere für das bis an den Rand der physischen Erschöpfung agierende Schauspiel-Ensemble.
E.E.-K.

Spieldauer ca. 3 Stunden, inkl. Pause
Die weiteren Termine:
17.06. // 5.10. // 13.10. // 20.10.23

Dienstag, 01.08.2023

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Letzte Aktualisierung: 29.04.2024 17:01 Uhr     © 2024 Theatergemeinde BONN | Bonner Talweg 10 | 53113 Bonn