Hotel Godesberg - Schauspielhaus - Kultur Nr. 177 - April 2023

Geschichten aus dem Weltdorf

„Sie sollen ihn nicht haben, den freien deutschen Rhein“, raunen sie im Hotelsalon. Der Bonner Dichter Nikolaus Becker wurde mit den gegen Frankreich gerichteten Versen 1840 über Nacht zum gefeierten Nationalpoeten. Heinrich Heine ließ wenig später den alten „Vater Rhein“ selbst zu Wort kommen: „Zu Biberich hab ich Steine verschluckt, wahrhaftig sie schmeckten nicht lecker! Doch schwerer liegen im Magen mir die Verse von Niklas Becker.“ Deutlich leichter verdaulich ist dagegen die Revue Hotel Godesberg im Schauspielhaus, die der Berliner Comedian Rainald Grebe (*1971, 2003 mit dem Prix Pantheon in der Kategorie „Frühreif & Verdorben“ ausgezeichnet) gemeinsam mit dem Ensemble zusammengebastelt hat. Hier plätschert der deutsche Schicksalsstrom trotz einiger ironischer Untiefen und amüsanter Reminiszenzen so gemütlich dahin, als ob das Stadttheater zu einem nostalgischen Heimatabend eingeladen hätte.
Von den viel beachteten „Zwei Welten“ in Bad Godesberg, die Ingrid Müller Münch in ihrem 2009 am gleichen Ort uraufgeführten Dokumentarstück untersuchte, ist das ebenso meilenweit entfernt wie von Volker Löschs böser Politsatire Bonnopoly 2017. Mit der kürzlich ausgestrahlten ARD-Krimiserie Bonn – Alte Freunde, neue Feinde hat das Ganze auch nichts zu tun. Etwas mehr schon mit dem TV-Zweiteiler Das Weiße Haus am Rhein von 2022. Unverkennbar entspricht das romantische Siebengebirgspanorama im Hintergrund (Bühne: Jürgen Lier) dem Ausblick vom Rheinhotel Dreesen. Und auch zahlreiche prominente Gäste des Traditionshauses tauchen auf: beispielsweise Charlie Chaplin und Stammgast Adolf Hitler (eine Glanznummer ist Christoph Gummerts Reanimierung der blauen Globus-Jonglage aus dem Film Der große Diktator von 1940), die Diven Greta Garbo und Marlene Dietrich, der Star-Zoologe Bernhard Grzimek und sogar der 1973 in Mehlem gestorbene, inzwischen völlig vergessene BRD-Werbefilm-Produzent Hans Fischerkoesen.
Die großartige Sophie Basse sieht als Hotelchefin zwar der Film-Prinzipalin des „Weißen Hauses“ sehr ähnlich (Kostüme: Kristina Böcher), ­geistert aber auch mal als Loreley herum und taucht mit Sören ­Wunderlich spärlich bekleidet nach dem legendären Rheingold. Wunderlich (höchst amüsant als „Romeo-Spion“) und Gummert machen auch als Serviceboys mit schicken Käppis ordentlich was her im Grand Hotel der Vergangenheits-Gespenster. Der gebürtige Godesberger Wilhelm ­Eilers mit schwarzer Langhaar-Perücke gibt den tapferen Empfangschef als Zombie der goldenen Fifties und brüllt zur Not sogar dem tauben Beethoven das Tagesmenü ins Ohr. Ursula Grossenbacher schwirrt in diversen Rollen weit unter ihrem schauspielerischen Können durch die bizarre Geschichts-Collage.
Allerhand große Politik am Pappkarton-Rednerpult kommt vor: Von der Verabschiedung des Godesberger Programms der SPD 1959, der knappen Entscheidung für Berlin als Bundeshauptstadt und der dauernd unterbrochenen Saudi-Arabien-Lobrede zur Eröffnung der König-Fahd-Akademie 1995 in Mehlem. Der langjährige TV-Dauerbrenner „Bericht aus Bonn“ ist Geschichte wie der Glamour des Diplomatenstadtteils Bad Godesberg. Ein bisschen Lokalpolitik ist auch dabei mit dem Abriss der Godesberger Altstadt zugunsten gesichtsloser Brutalarchitektur, der maroden Stadthalle, der Angstzone Stadtpark und der Verwandlung der Innenstadt in eine Mischung aus Billigläden und orientalischer Gastronomie. Sonstige Probleme bleiben brav außen vor. Vollverschleierte arabische Frauen sind das neue Multikulti-Glück des Weltdorfes zwischen Wahn und Pech. Mitunter lässt Regisseur Grebe die Akteure zwischen dem Mobiliar auf dem Boden herumkrabbeln oder in der Hotelsauna mit Handtüchern wedeln, was seiner Inszenierung jedoch nicht wirklich auf die Sprünge hilft. Dieses tut vor allem die vierköpfige Live-Band im Hintergrund, die das volkstümliche Liedgut frech abrockt und alte Melodien mit musikalischem Witz aufpeppt.
Zu den fünf Bühnen-Profis hat man noch fünf „Menschen aus Bad Godesberg“ engagiert. Die erfahrenen alten Kleindarstellerinnen ­Mechthild Hammerschmidt und Sue Schulze liefern eine hübsche Modenschau der langen Vorwendeära und erzählen von der guten alten Zeit, wo man Genscher-Superman zwischen zwei Interkontinentalflügen noch im Woolworth an der Koblenzer Straße traf oder in ­Restaurants (best Location: Ria Maternus‘ Gasthaus gegenüber vom Bahnhof) plötzlich neben höchster Politprominenz saß. Rüdiger Bauer berichtet Anekdoten von seinem Crêpes-Stand am Theaterplatz, Ralf Reifenberg von seinem alternativen Glühweinstand auf dem Moltkeplatz-Betonplateau und Ideen zur Belebung der Konzertmuschel bei der Stadthalle. Und Ulrike ­Marfopoulos findet keine Antwort auf ihre als sängerischen Running Gag wiederholte Frage „Warum ist es am Rhein so schön?“
Mitsingen oder Schunkeln ist erlaubt bei Willy Schneiders kölschem Nachkriegs-Hit „Wenn das Wasser im Rhein goldner Wein wär“ – das könnte die Rettung sein in dieser zähflüssigen Mixtur aus sentimentalem Spektakel und flachen Pointen.
Dass Bonn es in Rekordzeit geschafft hat, aus dem mondänen Society-Ort ein „No go“ zu machen, geht unter zwischen Hochwasser und sinkendem Rheinpegel. Band-Leader Jens-Karsten Stoll wirft Kamelle ins jubelnde Publikum. „Ons Heimot is Bad Jodesberch, do kritt ons keener fott“ – der Lokalpatriotismus zwischen Muffen- und Plittersdorf kriegt hier Futter. Und dann raunen sie wieder Karl Simrocks „Warnung vor dem Rhein“ von 1839, eine ironische Liebeserklärung an die gastfreundliche Region, einst u. a. vertont von Felix Mendelssohn. Das alte „Hotel Godesberg“ bleibt ein Schauplatz für neue nahe und ferne Gäste, und das ist gut so.
Manche Premierengäste verließen die bieder auf der Populärtheaterwelle surfende Show mit Grausen. Andere jauchzten und applaudierten hingerissen einer Vorstellung, die das Sitzfleisch mehr strapaziert als den Kopf. E.E.-K.

Spieldauer ca. 2 Stunden ohne Pause
Die nächsten Vorstellungen: 25.03. // 29.04.23

Montag, 01.05.2023

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