Agrippina - Opernhaus - Kultur Nr. 176 - Februar/März 2023

Macht, Sex und Lügen im alten Rom

Diese Frau ist ein politisches Supertalent. Und sie will die Macht in Rom. Ihr minderjähriger Sohn Nero soll Cäsar werden. Da kommt es gerade recht, dass ihr Gatte Kaiser Claudius, Neros Stiefvater, angeblich bei einem Seesturm auf dem Feldzug nach Britannien umgekommen ist. Agrippina, geboren kurz nach der Zeitenwende in der römischen Kolonie Köln am Rhein, setzt also alle Mittel ein, um Nero auf den Thron zu bringen. Auf dem Kapitol soll er mit populistischen Reden und milden Gaben das Volk für sich einnehmen, während sie strategisch geschickt ihr Netzwerk am Hof weiterspinnt. Es kommt anders als geplant, aber eine starke Frau wie Agrippina Augusta gibt niemals auf.
Mit seiner Oper Agrippina wurde der 24-jährige Komponist Händel aus Halle quasi über Nacht zum Star der europäischen Musiktheaterszene. Mit einigen dramatischen Werken hatte der junge Sachse bereits in Hamburg auf sich aufmerksam gemacht und sein Talent in Italien, dem Mutterland der Oper, weiter vervollkommnet. Dass Vincenzo Grimani, prominenter venezianischer Kardinal, habsburgischer Vizekönig von Neapel und kaiserlicher Botschafter am Heiligen Stuhl, das Libretto verfasste, war ein Glücksfall. Der Autor war nicht nur mit allen diplomatischen Intrigen vertraut, sondern seiner Familie gehörte auch das Teatro San Giovanni Crisostomo in Venedig, wo Agrippina Ende Dezember 1709 mit sensationellem Erfolg uraufgeführt wurde. Grimanis Text ist eine bitterböse Satire auf die Machtspiele seiner Zeit.
Der italienische Regisseur Leo Muscato, der in Bonn bereits Händels spätes Meisterwerk Xerxes und Rossinis Cenerentola brillant inszenierte, nimmt das ungemein witzig auf und transportiert die Geschichte munter ins 21. Jahrhundert wie einen bunten Comic. Muscato, in seinem Heimatland nicht nur als Opernregisseur vielfach ausgezeichnet und regelmäßig an weltberühmten Häusern wie der Mailänder Scala tätig, sondern auch als Schauspielregisseur höchst angesehen, macht aus dem barocken Meisterwerk ein spielerisch hochkarätiges Vergnügen, bei dem jede Note der Partitur ihr gestisches Pendant auf der Bühne hat.
Dass dabei der Barock-Experte Rubén Dubrovsky am Pult des historisch informiert agierenden, klein besetzten Beethoven Orchesters mit seinen fabelhaften Solisten im hochgefahrenen Graben ein lustvoll sprühendes Klangfeuerwerk entfacht, ist ebenfalls ein Glücksfall. Der in Argentinien geborene Musiker, inzwischen designierter Chefdirigent am Münchner Gärtnerplatz-Theater, gab in Bonn 2008 sein Dirigierdebüt und blieb auch als international gefragter Maestro der Bonner Oper treu. Unter seiner temperamentvoll-feinsinnigen Leitung ertönt Händels Musik so frisch, dass man die amüsant gespiegelte Vergangenheit der römischen Dekadenz über das frühe 18. Jahrhundert plötzlich in der feministischen Neuzeit wiederfindet.
Das Sagen in dieser Oper haben ganz klar die Frauen, denen die Drehbühne von Federica Parolini elegante Schauplätze bietet von Agrippinas reich dekoriertem Zimmer im Kaiserpalast und dem hellen Blumenreich der Poppea bis zu den herrschaftlichen Säulen des Kapitols.
Die Sopranistin Louise Kemény, einige Jahre Bonner Ensemble-Mitglied und nun als Gast zurückgekehrt, verkörpert die Titelrolle stimmlich und spielerisch grandios. Agrippina trägt nicht nur zu jeder Perücke den farblich passenden Pelz (Kostüme: Silvia Aymonino), sondern setzt ihre Attraktivität auch sonst sehr gezielt ein. Die exzellente Marie Heeschen (kürzlich mit dem Preis der Bonner Opernfreunde ausgezeichnet) singt die schöne Poppea im kurzen blauen Kleidchen mit wechselnden Oberteilen und leuchtendem Sopran. Ab und zu stellt sie sich kokett im Scheinwerferlicht auf und dreht sich wie ein Spieluhr-Püppchen. Gleich drei Männer werben um das reizende Society-Girl. Kaiser Claudio lässt sich gleich nach seiner glücklichen Heimkehr einen Besuch bei Poppea nicht nehmen, wobei der Seitensprung seine Gattin nicht im Geringsten stört. Außerdem sieht er im weißen Anzug mit typischer blonder Frisur aus wie Donald Trump, was dem Bass Pavel Kudinov viele Lacher im Publikum garantiert. Als die Inszenierung wegen Corona nicht auf die Bühne kommen konnte und im Sommer 2021 als Video-Stream zu erleben war, konnte man noch nicht absehen, dass der Ex-Präsident der Vereinigten Staaten ins politische Rampenlicht zurückkehren würde wie Claudio nach seinem Schiffbruch. Der grandiose Schauspieler Kudinov tänzelt mit jovialen Pathosgesten durch das überdrehte Geschehen. Ein komisches Ereignis ist auch der kleine Nerone, witzig verkörpert von der jungen Sopranistin Lada Bocková. Im üppig ausgestopften Sportdress spielt sie das verzogene, geistig leicht unterbelichtete, pubertierende Muttersöhnchen, das nicht nur dem Stiefpapa bei Poppea Konkurrenz macht, sondern auch gern mal mit dem Feuer spielt. Als Kaiser soll Nero später für den großen Brand in Rom verantwortlich gewesen sein.
Dann ist da noch der ehrliche Soldat Ottone, der Claudio das Leben gerettet hat, aber kein Interesse am Kaiserthron hat, sondern nur Poppeas Herz gewinnen möchte. Doch plötzlich wird er von allen als Verräter beschimpft. Der Countertenor Benno Schachtner singt seine große Klage-Arie so hinreißend schön, dass tatsächlich jeder Widerstand dahinschmelzen müsste. Bis zum glücklichen Ende braucht es jedoch noch allerhand Verwirrungen im höfischen Intriganten-Spiel. Ständig lauert jemand hinter Türen und Vorhängen und hört mit, was er soll oder auch nicht. In bester Komödienmanier erklärt immer wieder jemand a parte, was er oder sie wirklich denkt, aber besser nicht sagt.
Stimmlich perfekt besetzt und spielerisch ein Vergnügen sind auch die Randfiguren des Machtkampfes. Der Bass Martin Tzonev glänzt als Claudios treuer Diener Lesbo. Ein irre komisches Paar sind die beiden feisten Anhänger Agrippinas: Der Tenor Carl Rumstadt als dümmlicher Pallante und insbesondere die Mezzosopranistin Charlotte Quadt als eitler Narciso. Ein Sonderlob verdienen die beiden hübschen stummen Dienerinnen (Amelie Adamsky und Victoria Telegina), die ungerührt dem Treiben zuschauen und sich gelegentlich ein Gläschen von Agrippinas Luxusgetränken gönnen. Zum überraschenden Happy End dürfen alle Akteure einen Jubelchor anstimmen. Claudio hat zwar nicht alles kapiert, überlässt den Thron jedoch großzügig dem kleinen Nerone. Poppea und Ottone können heiraten. Agrippina triumphiert. Blitzlichtgewitter von der (unsichtbaren) römischen Hofpresse.
Manche kleinen Gags wie etwa die Ohrfeigen auf Distanz sind den 2021 geltenden Corona-Regeln zu verdanken, wirken aber live noch lustiger. Stürmischer Premierenbeifall mit Standing Ovations für das ganze Team und allgemeine Begeisterung darüber, dass das unbedingt hörens- und sehenswerte Werk nun endlich auf die Bühne gekommen ist. E.E.-K.

Spieldauer ca. 3 Stunden, inkl. Pause
Die weiteren Termine:
26.02. // 9.03. // 11.03. // 19.03. // 15.04. // 22.04.23

Samstag, 01.04.2023

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Letzte Aktualisierung: 29.04.2024 13:01 Uhr     © 2024 Theatergemeinde BONN | Bonner Talweg 10 | 53113 Bonn