Ruf der Wölfe - Jungen Theater - Kultur Nr. 175 - Januar 2023

Folgenreiche Begegnung

Soll man sie schießen oder schützen? Gehören sie zu unserem ­Öko­system wie Füchse und Rehe? Wölfe haben bei den Menschen keinen guten Ruf. Es gibt unzählige Geschichten über das große Raubtier, das mittlerweile auch in Deutschland wieder heimisch ist und für heftige Diskussionen über Schaden und Nutzen der unter strengem Naturschutz stehenden Art hervorruft. Einem echten Wolf begegnet der Schüler Jan bei einem nächtlichen Ausflug in den Wald, was zur Folge hat, dass er Weihnachten erkältet im Bett verbringen muss. Aber auch, dass er seine Erlebnisse nun einem freundlichen Journalisten vom Naturschutzbund erzählen kann.
In ihrem 2001 erstmals erschienenen und später aktualisierten Jugendroman Ruf der Wölfe erzählen Robert Habeck (inzwischen Bundeswirtschaftsminister und ­Vizekanzler) und seine Frau ­Andrea Paluch eine dramatische Geschichte über Freundschaft, Ängste und Vorurteile. Marcel Höfs, der fürs Junge Theater Bonn zuletzt schon Woodwalkers von Katja Brandis für die Bühne bearbeitete, hat zusammen mit fünf Jugendlichen eine sehr unterhaltsame Theaterfassung geschaffen. Im November gab er damit im Metropol-Kuppelsaal, der endlich wieder nutzbaren JTB-Studiobühne am Bonner Marktplatz, sein Regiedebüt am JTB. Das Ergebnis gefiel offensichtlich auch der bei der Uraufführung anwesenden Autorin Paluch (völlig unprätentiös, trotz ihrer Funktion als Gattin eines der mächtigsten Männer der Republik) ebenso gut wie dem gesamten Publkum.
Felix Bitter, Jahrgang 2005, spielt in seiner ersten Rolle am JTB den Jan ungemein überzeugend. Ein sensibler Junge, ein bisschen neugierig und waghalsig, aber grundsympathisch. Findet auch seine blitzgescheite Klassenkameradin Clara, hervorragend verkörpert von Isabel Müseler, alternierend mit Katja Gehring. Beide Nachwuchstalente sind ebenfalls JTB-Debütantinnen. Clara, reizend schnippisch und wie alle Mädchen ihres Alters den gleichaltrigen Jungs geistig ein Stück voraus, hat von alten Kindermärchen längst die Nase voll und weiß umso mehr vom Naturschutz und der Lebensweise der Wölfe. Thomas Kahle, von 2014 bis 2018 festes Mitglied im JTB-Profi-Ensemble, ist als Gast zurückgekehrt und spielt in rasantem Wechsel mit kabarettreifem Elan fast alle Erwachsenenrollen von Jans besorgtem Vater und dem tapferen Bio-Lehrer, dem schießwütigen Jäger und dem verzweifelten Bauern, der seinen Massenstall voller halbtoter Hühner vom bösen Wolf bedroht sieht, bis hin zur irrwitzig grimassierenden Karikatur eines Sensationsreporters, der für eine „Blitzlicht“-Schlagzeile jede Wirklichkeit schamlos verdreht. Matthias Kaufmann begleitet das Ganze musikalisch pfiffig live am Klavier und tritt zudem auch schauspielerisch auf als braver Mitarbeiter der Stadtverwaltung, Polizist mit norddeutschem Akzent und hilfreicher Wolfsexperte Dr. Koopmann.
Der Wolf erscheint nur als heulender Schatten hinter den weißen Vorhängen, mit denen Annika Garling (Bühne und Kostüme), in ihrer ersten JTB-Produktion die verschneite Landschaft in Schleswig-Holstein (Heimat des Autorenduos Habeck/Paluch) effektvoll markiert. Zugegeben: Dass Jan zwecks Schnitzeljagd zum Geburtstag seiner kleinen Schwester (Antonia hasst Marzipan!) ausgerechnet zehn Marzipanschweinchen besorgt hat, war nicht besonders nett. Es war auch recht unvorsichtig, nach einem heimlichen Kinobesuch spät abends noch in den dunklen Wald zu schleichen. Jedenfalls steckt Jan bei der mutigen Wolfs-Rettungsmission plötzlich selbst in einer Falle. Scheußlich frierend und ohne Handy. Gleichzeitig fallen zwei Schüsse. Ob der Wolf sie überlebt, verraten wir hier nicht. Aber der Respekt der supercoolen Clara ist Jan nach dem Abenteuer sicher.
Eine liebenswürdige Vorstellung, die mit hellwachem Humor zur realistischen Aufmerksamkeit für die bedrohte Natur ermahnt. Ganz ohne aufgeregt erhobenen Zeigefinger oder angestrengten Aktionismus. Wölfe sind halt keine Schmusetiere, aber auch keine ­Fabelbestien, die vorzugsweise kleine Kinder oder Großmütter verspeisen. Die vom Bonner Spendenparlament großzügig unterstützte Produktion wird empfohlen für Publikum ab zehn Jahren. E.E.-K.

Spieldauer ca. 70 Minuten,
keine Pause

Die nächsten Vorstellungen:
14.01.23 / 10. + 11.02.23 /
24. + 25.03.23

Mittwoch, 01.02.2023

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