Der Sturm - Schauspielhaus - Kultur Nr. 175 - Januar 2023

Großer Theaterzauber

Blitze zucken, Wellen türmen sich auf, die Windmaschine bläst von der Bühne bis in den Zuschauerraum. Prospero hat seine ganze Zauberkraft in Bewegung gesetzt, um seine Feinde, die ihn einst seiner politischen Macht beraubten, auf seiner Insel stranden zu lassen. Und der Regisseur Jan Neumann, der zuletzt hier die preisgekrönte Inszenierung von Falladas Kleiner Mann – Was nun? auf die Bühne brachte, hat bei ­Shakespeares Drama Der Sturm nicht an Theatermagie gespart. Die Textfassung von Schauspieldirektor Jens Groß, der auch schon Shakespeares Sommernachts­traum für junges Publikum adaptierte, orientiert sich an der romantisch-poetischen Übersetzung von A.W. Schlegel und gibt der spielerischen Fantasie viel Raum.
Im Bühnenbild von Matthias Werner wird Prosperos großes Zauberbuch zum Spielort. Ariel erzählt kurz die Vorgeschichte von der Vertreibung Prosperos aus seinem Herzogtum Neapel. Cornelius Schwalm, erstmals zu Gast am Bonner Schauspiel, spielt großartig den Magier Prospero, der mit seiner kleinen Tochter auf einem winzigen Boot ausgesetzt wurde und nun streng, aber gütig die Geschöpfe auf einem kleinen Eiland beherrscht. Den Luftgeist Ariel hat er aus der schmerzhaften Gefangenschaft der Hexe Sycorax befreit und zu seinem Diener gemacht. Christoph ­Gummert mit wehendem weißem Haar verkörpert hinreißend dieses luftige Wesen, das tatsächlich zu fliegen scheint zur Erfüllung seiner vielen Aufgaben, an deren Ende seine Befreiung winkt. Nach Freiheit schreit ständig das animalische Hexenkind Caliban, das im Untergrund haust, sich jeder Zähmung widersetzt und seine Insel wieder für sich haben will. ­Annika Schilling tobt mit unbändiger Energie als wilder Erdgeist durch das Geschehen und verbündet sich mit mäßigem Erfolg zur Revolte mit dem trinklustigen Spaßmacher Trinculo (Jonas Schlagowsky).
Bernd Braun als Prosperos Bruder Antonio, der einst mit Unterstützung aus Neapel die Herrschaft über das reiche Mailand an sich riss, scheint die ganze Sache leid zu sein. Griesgrämig schaut er Alonsa zu (aus dem König von Neapel ist hier geschlechtergerecht eine Königin geworden), die verzweifelt nach ihrem angeblich ertrunkenen Sohn Ferdinand sucht. Lydia Stäubli im roten Samtkleid (fantasievolle Kostüme: Nini von ­Selzam) spielt die mütterliche Sorge um ihren Nachfolger liebenswürdig ernsthaft.
Ferdinand ist da jedoch längst dem Zauber erlegen, der ihn zu Prosperos zu einem hübschen Mädchen herangewachsener Tochter geführt hat. Alois Reinhardt spielt den nicht mehr ganz jungen Prinzen, der die naive Miranda mit Breakdance-Kunststücken ebenso beeindruckt wie mit seinem tapferen Arbeitseinsatz im Dienst des Inselherrschers. Lena Geyer als aufgewecktes Girl an der Seite ihres lebenserfahrenen Papas hat von ihm offenbar eine Menge gelernt. Jedenfalls fleht sie um das Leben der Schiffbrüchigen und ist auch keineswegs so weltfremd wie bei Shakespeare. Schnell wird sie angesichts ihrer endlich offenbarten Herkunft zu einer koketten Prinzessin im bonbonrosa Kleid, tollt munter mit dem neuen Spielgefährten herum und entdeckt beglückt ihre zärtlichen Gefühle. Hinter Prosperos Zaubermantel genießt das verliebte Paar sein Glück.
Es braucht nur noch ein paar bedrohliche Geisterwesen, bis alle Verirrten wieder zusammenfinden und Prosperos Strategie aufgeht. Er verzichtet fürderhin auf alle Zauberei und erhält seine Rechte zurück. Mit seinem Segen und dem der Königin können Miranda und Ferdinand heiraten. Die Ureinwohner der Insel sind frei. Und was ist mit der sprichwörtlichen „Schönen neuen Welt“, die Miranda staunend betrachtete? Da wird eine neue Seite im Buch aufgeschlagen. Im paradiesischen Frieden mit der Natur tanzen alle zur Musik von Johannes Winde in ein utopisches Wunderland.
Shakespeares letztes Theaterstück ist ein vielschichtiges Märchen. Im Schauspielhaus wird es hinreißend lebendig durch die Spiellust des ganzen Ensembles, das leichtfüßig und witzig einen Klassiker der Weltliteratur präsentiert. Die einfallsreiche, bunte Bilderbuch-Inszenierung wird empfohlen für Publikum ab 10 Jahren, ist aber auch für Erwachsene ein bezauberndes Vergnügen. Bei der sehr gut besuchten zweiten Vorstellung wollte der Beifall der jungen Zuschauerinnen und Zuschauer kaum enden. E.E.-K.
Spieldauer ca. 1 ¾ Stunden, inkl. Pause

Die nächsten Aufführungen:
26.12.22 // 8.01.23

Mittwoch, 01.02.2023

Zurück

Merkliste

Veranstaltung

Momentan befinden sich keine Einträge in Ihrer Merkliste.


Letzte Aktualisierung: 29.04.2024 16:01 Uhr     © 2024 Theatergemeinde BONN | Bonner Talweg 10 | 53113 Bonn