Urmel aus dem Eis - Junges Theater - Kultur Nr. 174 - Dezember 2022

Sympathischer kleiner grüner Drache

Voll krass: Es ist die wissenschaftliche Sensation, auf die der Professor Habakuk Tibatong kaum noch zu hoffen wagte. Ein echtes Urmel schlüpft aus dem Ei, das viele Millionen Jahre lang tiefgefroren in einem Eisberg lag. Urmel sind in der Evolutionsbiologie das Bindeglied zwischen den Dinosauriern und den Säugetieren. Das haben schon viele heutige Großeltern gelernt, seit das Urmel aus dem Eis 1969 in der Augsburger Puppenkiste zum Leben erwachte und durch Fernseh-Aufzeichnungen weltbekannt wurde. Das Urmel und seine Geschichten erfunden hat der Schriftsteller Max Kruse (1921 – 2015), zu dessen 100. Geburtstag das Junge Theater Bonn das liebenswerte Geschöpf nun ganz frisch auf die Bühne gebracht hat. Es ist sogar eine Uraufführung, denn die Autorinnen ­Susanne Lütje und Anne X. Weber (beide waren bei der Premiere anwesend) haben den Stoff erfrischend neu fürs Theater bearbeitet. Die flotten Lieder dazu hat der Musiker Rainer Bielfeld neu komponiert.
In der bezaubernd verspielten Inszenierung von Bernard Niemeyer werden die erstarrten Figuren in Tims Kinderzimmer lebendig. Der Junge hat trotz mütterlicher Ermahnung (beide nur als Stimmen aus dem Off vernehmbar) überhaupt keine Lust auf Schule. Die Puppentiere sind auch recht zufrieden, dass der Sprachunterricht in Tibatongs Hütte heute ausfällt, weil der Professor mal wieder an seiner Schreibmaschine die Zeit vergessen hat. Seine fürsorgliche Haushälterin Wutz muss einfach ein Machtwort sprechen, damit der übermüdete Wissenschaftler auf seinem Riesensofa endlich zur Ruhe kommt. In der Ausstattung von Laurentiu ­Tuturuga (variables Bühnenbild und farbenfrohe Kostüme) herrscht ansonsten muntere Bewegung. Auf der Bühne beteiligt sind diesmal nur Mitglieder des erwachsenen Profi-Ensembles.
Da sind die sprachbegabten Tiere, mit denen Tibatong (mit grauem Wuschelkopf: Christian Steinborn, auch für die musikalische Einstudierung zuständig) sich vor dem akademischen Betrieb auf eine einsame Südseeinsel zurückgezogen hat. Waran Wawa (Nima Conradt) ruht sich gern aus in seiner gemütlichen Riesenmuschel „Mupfel“, Ping Pinguin (Gurmit ­Bhogal) trippelt kokett auf seinen Schwimmfüßen herum und hat kleine Probleme mit Zischlauten. Das zierliche Hausschwein Wutz (herrlich komisch: Giselheid Hönsch, die im Oktober ihren 86. Geburtstag feierte) sorgt penibel für Sauberkeit und entwickelt schnell mütterliche Gefühle für den putzigen grünen Drachen, der aus dem zufällig an den Strand gespülten großen Überraschungs-Ei kroch. Andrea Brunetti spielt vergnügt das vorwitzige Wesen, das anscheinend die Eiszeit genutzt hat, um schon mal eine bisschen reden zu üben. Nur das mit dem „K“ klappt nicht so ganz, so dass aus dem König stets ein „Tönig“ wird.
Ein echter „König“ erscheint tatsächlich per Hubschrauber auf der Insel. Denn der stolze Tibatong hat per Flaschenpost seinen Kollegen Zwengelmann von seinem spektakulären Fund informiert. Ex-König Pumponell von Pumpolonien (Axel ­Becker mit bayerischem Akzent und beeindruckendem Bart) ist passionierter Großwildjäger und will das Urmel mitnehmen – „tot oder lebendig“. Sein treuer Diener Sami (wunderbar skurril: Jan Herrmann) bewahrt in seiner eleganten Uniform indes jederzeit klare Haltung.
Es ist nicht leicht, das einzige Exemplar seiner Spezies zu sein. Eine Zukunft bestenfalls im Zoo ist jedenfalls keine schöne Aussicht für das Urmel. „Es ist so gemein, allein zu sein“, singt es traurig. Doch mit guten Freunden ist die Rettung sicher. Eine geheimnisvolle Höhle lockt mit feinen Klängen. Lachgas ist auch noch im Spiel, bevor Ping seine Tauchkünste beweisen kann. Wutz muss ihre geliebte Schlaftonne danach zwar gründlich putzen, aber seine Majestät wirft die Flinte endgültig ins Meer und darf gern wieder zu Besuch auf die Insel kommen.
Dieses Urmel aus dem Eis ist ein fröhliches Loblied auf die Gemeinsamkeit jenseits aller Unterschiede. Mehr Moral braucht die liebevoll mit viel Sprachwitz präsentierte Fabel auch nicht. Sie macht ganz einfach großen Spaß. Beim Bühnenbau halfen erstmals offiziell die Werkstätten des städtischen Theaters Bonn. Generalintendant Bernhard Helmich saß im Premierenpublikum und betrachtete zufrieden das Ergebnis. Leider ist es die vorläufig letzte Inszenierung von Bernard Niemeyer, der nach mehr als einem Jahrzehnt im JTB-Team neue Herausforderungen sucht. E.E.-K.
Die Aufführung wird empfohlen für Publikum ab fünf Jahren.

Spieldauer ca. 1 ¾ Stunden inkl. Pause
Die nächsten Termine: 28.01. / 29.01. / 5.03. / 8.04. / 9.04.23

Sonntag, 01.01.2023

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Letzte Aktualisierung: 27.04.2024 21:01 Uhr     © 2024 Theatergemeinde BONN | Bonner Talweg 10 | 53113 Bonn