Recht auf Jugend - Schauspielhaus - Kultur Nr. 174 - Dezember 2022

Revolte gegen die Klimakatastrophe

Revolte gegen die KlimakatastrophIhre Waffen sind Sekundenkleber und Kartoffelbrei oder Tomatensoße. Sie sind nicht die neue RAF und ausdrücklich gegen Gewalt. „Fridays for Future“ ist ihnen jedoch viel zu lasch, Greta Thunberg ist längst aus den täglichen Nachrichten verschwunden. Die UN-Klimaziele werden auf internationalen Konferenzen zerredet, die Zeit für einen grundsätzlichen Wandel schmilzt dahin wie die Gletscher und Eisberge. Als „letzte Generation“, die die globale Klimakatastrophe noch aufhalten könnte, fühlen sich junge Aktivistinnen und Aktivisten berufen, zivilen Widerstand zu leisten gegen die drohende Zerstörung unseres Planeten. Es geht ihnen um mediale Aufmerksamkeit, während die Mahnungen der Wissenschaft verhallen und die Politik im Dauerkrisenmodus feststeckt. Wozu braucht man noch Kunst, wenn die Menschheit sehenden Auges untergeht?
Das Schauspiel Bonn hat den Aktivisti (hübsch genderneutraler Plural!) der letzten Generation trotzdem seine große Bühne geöffnet. Der Regisseur Volker Lösch, der in der Oper bei Weill/Brechts Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny bereits den Opfern der Flutkatastrophe an der Ahr eine Plattform bietet, lässt nun die besorgten Kinder der etablierten rot-grünen Bildungsbürgerschaft im Parolen-Mainstream schwimmen wie verirrte Fische um die Plastikmüll-Inseln im Pazifik. In weißen Overalls und bunten Turnschuhen (Kostüme: Teresa Grosser) zappeln sie auf dem Boden herum, während aus den weißen Wänden ölige schwarze Farbe quillt (Bühne: Valentin Baumeister). Im tapfer einstudierten chorischen Gebrüll geht zwar manche Information unter, was aber nicht viel ausmacht. Klar ist sowieso: Es geht um die moralischen Werte der selbsternannten Weltretter und die dumpfe Mehrheit, die sich gegen jede Vernunft weiterdreht im fatalen Fortschritts-Karussell aus falschen Versprechungen und gefährlichen Illusionen.
Markus J. Bachmann, Linda Belinda Podszus (lesen Sie auch das Interview ab Seite 14 in dieser Ausgabe), Paul Michael Stiehler und Sandrine Zenner aus dem professionellen Ensemble sowie Zoe Ruge, Irma Trommer und Tim Jakob Wechselmann-Cassim vom Team der „Letzten Generation“ (X, Y und Z sind schon Mediengeschichte) artikulieren eindrucksvoll ihre persönliche Befindlichkeit zwischen Angst und Wut. Es sind die Kinder und Enkel der weltbürgerlich liberalen Generation, die einst rebellierte gegen Kapitalismus, Atomkraftwerke und Kriege, um nach dem Hochschulabschluss den Marsch durch die Institutionen anzutreten. Antiautoritär, umweltsensibel, friedfertig, divers. Das reicht nicht, die Alten haben ihre Hausaufgaben verpasst und den Jungen die Zukunft gestohlen.
Der Bonner Autor und Dramaturg Lothar Kittstein hat dafür Arnolt Bronnens Dramenerstling Recht auf Jugend neu überschrieben. Der 1895 in Wien geborene und 1959 in Ostberlin gestorbene Bronnen verfasste es 1913 als siebzehnjähriger Schüler. Berühmt wurde der zeitweise als Brecht-Zwilling gehandelte Dichter 1920 mit seinem Skandalstück Vatermord. Später wurde er glühender Nationalsozialist, dann Kommunist. Die krude Handlung von Recht auf Jugend wird in der Bonner Inszenierung nicht erzählt. Geblieben sind neben allerhand Text-Bruchstücken das expressionistisch verschwurbelte Pathos und der postpubertäre Gestus zwischen Aufstandsgeist und Opfer-Attitüde, romantischen Märtyrerträumen und apokalyptischen Visionen. Die Theorie des zivilen Ungehorsams wird ebenso herbeizitiert wie die amerikanische Bürgerrechtsbewegung von Martin Luther King. Zwischen echten Emotionen und hohlen Phrasen werden mit beeindruckendem Körpereinsatz und verbaler Energie die drohenden Kipp-Punkte beschworen, die unseren Planeten bald unbewohnbar machen können. Das ist fraglos wahr, aber der verzweifelte Aktionismus führt ebenso deutlich in eine ­Sackgasse.
Schauspielerisches Profil gewinnen in diesem langatmigen Pamphlet nur Sophie Basse und Daniel Stock als Repräsentanten der Erwachsenen („Ich bin auf deiner Seite!“), aber warum will sich der Nachwuchs nicht mehr beispielsweise als diplomierter Umweltingenieur nützlich machen, sondern bloß Straßen blockieren? Stock karikiert einen sensationsgeilen Journalisten ebenso brillant wie den Bundeskanzler beim Besuch der Hungerstreikenden vor dem Berliner Reichstag. Basse als Krankenpflegerin bringt die Realität ins Spiel. Wie soll ich meine Patienten versorgen, wenn ihr mir den Weg zu ihnen versperrt? Wenige Tage nach der Bonner Uraufführung wurde das leider virulent. Den Tod einer Radfahrerin in Berlin haben die ­Klima­aktivisti wohl nicht verschuldet. Zur Diskreditierung der Bewegung trug der tragische Unfall dennoch bei.
Im grasgrünen Hosenanzug mimt Basse die brave Politikerin, die natürlich ebenso eingeschwärzt wird wie die blauen Akteure beim heftig beklatschten Lindner-­Maskentanz. Das ist freilich noch nicht das Finale, denn es muss noch schwärzer werden, damit die einfache Botschaft ankommt: Wir müssen jetzt etwas tun, bevor es endgültig zu spät ist. Auch wenn wir nur eine mutige Minderheit sind. Zugegeben: Konkrete Ziele wie die Geschwindigkeitsbegrenzung auf Autobahnen, die Attraktivitätssteigerung des ÖPNV und der Ausstieg aus fossiler Energie sind nicht brandneu. Die Spitzenplätze in der internationalen Aufmerksamkeitsökonomie bleiben heiß umkämpft und nicht sonderlich stabil. Gegen die gut geölte Fußball-WM in Katar hat ein beschmierter Monet in Potsdam wenig Chancen. Mit Angriffen auf berühmte Bilder (zumeist nur verglaste, so dass der Schaden überschaubar bleibt) macht man sich wenig Freunde, zumal die Kunstwelt das Anliegen der Klimaretterinnen und -retter gern solidarisch unterstützt. Wie nun auch das Bonner Schauspiel.
Pflichtgemäßer Premierenjubel vom ohnehin überzeugten Publikum. Schlichte Frage nur zur dauernd beschworenen Nachhaltigkeit: Wer putzt und wäscht womit die Matschspuren des sympathischen Kinderspiels nach der trotz einiger berührender oder witzig-ironischer Momente ziemlich zähflüssigen Vorstellung wieder weg? E.E.-K.

Wer mehr über die Aktivitäten der „Letzten Generation“ erfahren will, kann sich eine der im Theater ausliegenden Werbekarten nehmen und per QR-Code über geplante Diskussionen und Vorträge informieren.


Spieldauer ca. 2 Stunden, keine pause
Die nächsten Aufführungen:
17.12. / 21.12.22 / 13.01.23

Sonntag, 01.01.2023

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