Hänsel und Gretel - Oper - Kultur Nr.168 - Januar/Februar 2022

Hänsel und Gretel
Foto: Thilo Beu
Hänsel und Gretel
Foto: Thilo Beu

Verspielter Weihnachtsklassiker

Wer kauft heutzutage noch handgefertigte Besen? Familienvater Peter bietet seine Ware lange vergeblich an, bis eine wie aus fernen Zeiten erscheinende elegante Dame in Begleitung eines Clowns endlich zugreift. Bekanntlich nutzen Hexen solche Besen als Fluggeräte. Während der brave Peter (hervorragend: Mark Morouse) zufrieden einkaufen geht fürs Abendessen, öffnet sich der Blick auf ein bescheidenes Zimmer in einer Hochhaussiedlung. Kein Flachbildschirm, keine Smartphones – nur ein alter Röhrenfernseher, ein Schlumpf und ein Clown in der Ecke. Hänsel spielt noch mit der inzwischen reichlich uncoolen „Super-Mario“-Welt, Gretel liest „Pippi Langstrumpf“. Die Kinder leben offenbar in prekären Verhältnissen, auch wenn sie zu ihrem Lied „Brüderchen, komm tanz mit mir“ ein bisschen Diskohopserei wagen. Wenn Mutter Gertrud (die erfahrene Wagner-Sängerin Jessica Stavros) erschöpft von der Arbeit heimkehrt und ihre Geldsorgen besingt, flimmert auf dem Bildschirm das Logo von „Wer wird Millionär?“ Als Hänsel beim Tischdecken eine Schale zu Bruch geht, rastet die Mutter aus und jagt die hungrigen Kinder fort. Durch eine Art riesige Zeitspirale gelangen sie in den Zauberwald, wo ihre Spielzeugfiguren plötzlich lebendig werden und das Märchenspiel beginnt.
Regisseur Momme Hinrichs ­(Inszenierung und Bühne), die eine Hälfte des Videokünstler-Duos fettFilm, hat ­Humper­­dincks beliebte Kinderoper mit allerhand Zutaten aus der heutigen Kinderwelt aufgefrischt. Torge Møller von fettFilm hat die 3D-Animationen gestaltet, die den dunklen Wald lebendig werden lassen, und führt mit ­Video-Einblendungen auch in die reale Welt zurück. Zum 100. Todestag des 1854 im benachbarten Siegburg geborenen Komponisten hat die Oper Bonn sich für eine Neuinszenierung von Hänsel und Gretel entschieden und die über ein Vierteljahrhundert lang regelmäßig wiederbelebte alte Bilderbuch-Vorstellung endgültig vom Spielplan genommen. Die Märchenoper, mit der der Wagnerfreund Humperdinck weltberühmt wurde (sein einziger großer Bühnenerfolg) und die er selbstironisch als „Kinderstubenweihfestspiel“ bezeichnete, ist also im 21. Jahrhundert angekommen.
Es geht sehr bunt und wenig furchterregend zu im Wald, in den sich die Geschwister beim Beerensammeln immer tiefer verirren. Charlotte Quadt (bei der Premiere eingesprungen für Amira Elmadfa) ist ein entzückend burschikoser, aber auch fürsorglicher Hänsel. Lada Bocková überzeugt mit leuchtendem Sopran als selbstbewusste Gretel, die schließlich für die Rettung der Kinder aus dem magischen Hexenreich sorgt. Beim populären „Abendsegen“ erscheinen keine Engel mehr, das Männlein im Walde ist ein putziger kleiner Schlumpf, Super Mario und Pippi Langstrumpf laufen stumm herum ohne Funktion außer ihrem Wiedererkennungswert. Der Wald wird bevölkert von freundlichen Tieren: Zwischen einer Schar Hasen und einem munteren Fuchs lässt sich sogar ein Einhorn mit regenbogenfarbener Mähne blicken Der von ­Ekaterina Klewitz hervorragend einstudierte Kinder- und Jugendchor ist vor allem sängerisch sehr präsent in der Fantasiewelt. Die lustigen ­Kostüme von Sven Bindseil machen Spaß, auch wenn der Chor meistens nur auf der Bühne im Kreis herumhüpft oder -steht (Choreografie: ­Marina Rosenstein).
Das Knusperhaus ist nicht mit süßem Gebäck bestückt, sondern mit bonbonbunt leuchtenden Gummifiguren eines Bonner Familienunternehmens, das bekanntlich weltweit Kinder und Erwachsene froh macht. Das Taumännchen (wie das Sandmännchen gesungen von der jungen Sopranistin Ava Gesell) kommt als schillerndes Revuegirl aus dem Tor. Die große Show gehört indes dem langjährigen Ensemblemitglied Susanne ­Blattert als Knusperhexe im Horrorclown-Outfit. Wie sie auf einem motorisierten Hexenbesen (gesponsert von den Opernfreunden) tollkühn durch die Lüfte braust, ist ein echter Hingucker. Dass sie Hänsel zwecks weiterer kulinarischer Verwendung in einen Käfig sperrt, geht dann aber doch zu weit. Gretel befreit ihren Bruder, und der böse Hexenclown landet im glühenden Ofen. Der Bann ist gebrochen, von allen Seiten strömen die neu zum Leben erwachten Kinder herbei und feiern mit den glücklichen Eltern die Befreiung aus der Gefangenschaft.
Daniel Johannes Mayr am Pult des vorzüglich musizierenden ­Beethovenorchesters bringt die Geschichte wunderbar zum Klingen. ­Lyrischer Märchenton, bezaubernde Melodienseligkeit und dramatische Spannung – Humperdincks vielschichtige Komposition kommt hier ganz frisch mit einer feinen Balance zwischen Leichtigkeit und tiefgründigem Ernst daher. Alle Solopartien sind stimmlich und darstellerisch exzellent besetzt und machen ein paar Ungereimtheiten der Inszenierung locker wett. Das zeitlose musikalische Märchenspiel für die ganze Familie wurde bei der Premiere mit langem, herzlichem Beifall gefeiert und ist als kitschfrei besinnlicher Glücksmoment im Weihnachtstrubel für Opern-Einsteiger wie für erfahrenes Publikum sehr zu empfehlen. E.E.-K.

Spieldauer ca. 2 ½ Std., keine Pause
Die letzten Termine: 25.12. // 30.12.21 // 7.01.22

Samstag, 01.01.2022

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