Timo Kählert - kultur 164 - März 2020

Timo Kählert
Foto: Thilo Beu
Timo Kählert
Foto: Thilo Beu

Elisabeth Einecke-Klövekorn trifft Timo Kählert - Roller, Demetrius und Doktor Schimmelpfennig

In Schillers turbulenten Räubern (s. kultur-Kritik S. 4) geht er ab und zu so krachend zu Boden, dass man sich Sorgen um seine Unversehrtheit macht. „Einige blaue Flecken gab es bei den Proben tatsächlich“ gesteht der junge Schauspieler, der seit der Spielzeit 2018/19 fest zum Bonner Ensemble gehört. „Ohne Knochenbrüche zu stürzen, lernt man aber auf der Schauspielschule. Wir haben die sehr körperliche Inszenierung mit dem Regisseur Simon Solberg außerordentlich intensiv und fast bis zum letzten Moment vor der Premiere geprobt. Zudem hatten wir zwei wunderbare Choreografen, die alle Bewegungen stets genau kontrollierten.“
In Solbergs großartigem Candide hat Timo Kählert sich zu Beginn der Intendanz von Jens Groß dem Bonner Publikum vorgestellt, u. a. als Erzähler, treuer Begleiter Cacambo und als Jakob. Zu einem überraschenden Renner entwickelte sich die musikalische Revue Linie 16, bei der Kählert als Klopapiermann im ­Wind­maschinen­taumel und als verhaltensgestörter Polizist glänzte. „Ich liebe Musik. Zum ersten Mal vor ­Publikum gesungen habe ich allerdings erst an der Schauspielschule. Ein bisschen Klavier habe ich mir selbst beigebracht.“ Nicht geplant war eigentlich sein Auftritt im Menschenfeind, wo er kurzfristig und trotzdem ganz und gar überzeugend als Acaste für den erkrankten Kollegen Klaus Zmorek einsprang.
Geboren wurde Kählert 1993 in Hamburg-Bergedorf. Wie er selbst sagt, in einer „klassischen Arbeiterfamilie“ ohne ausgeprägte kulturelle Interessen. „Mit meinen Eltern bin ich nie ins Theater gegangen. Anfangs sah die Familie meine Berufswahl auch eher skeptisch. Theater war für sie eine völlig fremde Welt. Das hat sich mittlerweile deutlich verändert. Mein Onkel war total begeistert von Candide, meine Verwandten kommen jetzt öfter hierher. Es ist toll, wenn man dann noch gemeinsam in der Kantine sitzt und über das Erlebte redet.“ Als Kind spielte Kählert gern Fußball, landete aber durch einen Freund schon früh bei einem privaten Kindertheater, das von einem professionellen Clown geleitet wurde. „Wir haben uns ganz spielerisch kleine Stücke selbst erarbeitet, eigene Sachen auf die Bühne gebracht und hatten Spaß daran, vor Publikum aufzutreten. Am Gymnasium hatten wir dann einen tollen Lehrer im Fach ‚Darstellendes Spiel‘, der selbst ausgebildeter Schauspieler war. Er empfahl mir nach dem Abitur ein Schauspielstudium. In den üblichen Jugendclubs am Theater war ich nie.“
Fast zwei Jahre dauerte die Suche nach einem Studienplatz, überbrückt durch einen echten Knochenjob bei einem Paketdienst – meistens nachts. Kählert kennt also die prekäre Arbeitswelt und sieht das als nützliche Erfahrung. Nach diversen Vorsprechen geklappt hat es dann an der Zürcher Hochschule der Künste. „Zum ersten Mal war ich weit weg von Zuhause. Aber der Zürichsee ersetzte mir ein bisschen die vertraute Alster. Viel Zeit bleibt neben dem Studium ohnehin nicht. Man ist quasi rund um die Uhr eingespannt und muss ein wenig aufpassen, den Kontakt zur Realität nicht zu verlieren. Als Student ohne finanzielles Polster ist man in der Schweiz vom sozialen Leben fast ausgeschlossen. Für meinen Lebensunterhalt musste ich einen Kredit aufnehmen.“
Umso glücklicher ist Kählert, dass er gleich nach dem Studienabschluss sofort sein erstes festes Engagement in Bonn bekam. In Zürich hat er in Hochschulproduktionen und an freien Bühnen eine Menge Erfahrungen gesammelt. Als prägend nennt er die Zusammenarbeit mit dem Regisseur ­Christoph Frick. In dessen Inszenierung von Horváths Kasimir und Karoline spielte er den Kasimir. Übrigens zusammen mit seiner Zürcher Kommilitonin Annina Euling, die nun ebenfalls in Bonn engagiert ist. In der Regie von ­Peter Ender sang und spielte er sogar in einer großen Hochschul-Aufführung den Eisenstein in der Fledermaus und ist folglich gespannt auf die neue Operetten-Produktion an der Bonner Oper.
Höchst inspirierend fand Kählert die Arbeit mit dem malawischen Künstler ­Thokozani Kapiri, die ihm nicht nur einen besonderen Blick auf Südafrika vermittelte, sondern ihn u. a. auch ans renommierte Zürcher Theater am Neumarkt, nach Konstanz und nach Liechtenstein führte. Nach dem Bachelor entwickelte er während des Masterstudiums eine enge Zusammenarbeit mit dem Avantgarde-Theaterkollektiv Fetter Vetter & Oma Hommage, gastierte mit dieser jungen Truppe am ­Theater Luzern mit Jack Londons König Alkohol, war viel an freien Bühnen in der Schweiz unterwegs und wirkte 2017 bei dem Kunst-Festival „Badenfahrt“ im Aargauer Baden mit, einem nur alle zehn Jahre stattfindenden riesigen helvetischen Stadtfest.
Dass Kählert bei seiner Bewerbung in Bonn sofort überzeugen würde, hat er kaum zu träumen gewagt. „Ich war müde und gleichzeitig sehr aufgeregt und vergaß nach dem Vorsprechen meine Socken auf der Bühne. Es ist immer noch so: Sich vor drei Leuten vorzustellen, ist unvergleichlich schwerer als vor 400 Zuschauern zu spielen und sie im besten Fall direkt zu berühren. Aber gleich am Abend kam der erlösende Anruf von der Intendanz. Es ist ein supergutes Gefühl, hier zu sein und beständig gegenseitiges Interesse zu spüren.“
Ganz toll fand er die von der Theatergemeinde organisierte Begegnung mit den vielen Grundschüler*innen und deren Theaterpat*innen bei Shakespeares Sommernachtstraum, wo er den zwischen allen Gefühlen taumelnden Demetrius spielte. Schließlich hat auch bei Timo Kählert die Bühnenlust mit dem Kindertheater begonnen.
Für jugendliches Publikum jeden Alters konzipiert sind die Räuber des jungen Schiller mit ihrem stürmischen Freiheitsdrang und der Wut auf verkrustete Machtverhältnisse. Kählert spielt energisch den ehrlichen Banditen Roller und den braven Hermann. Ganz wunderbar verkörpert er auch den Hausarzt Schimmelpfennig in Ewald Palmetshofers Neubesichtigung von Hauptmanns Vor Sonnenaufgang. Ein Außenseiter in der familiären ­Katastrophenwelt, als ­feister Dorfdoktor von allen einstigen Idealen entfremdet und immer gleichzeitig mittendrin und außen vor. Ein Typ, der das Seelen-Schlachtfeld leise empathisch umkreist, weil alle sowieso unheilbar leiden.
In der Werkstatt wiederaufgenommen wurde soeben Gogols Die Nase. Kählert spielt in dieser surrealen Groteske den aufstrebenden Beamten Kovalev, dessen Nase sich unverschämt selbstständig macht und ihm einen schrecklich komischen Gesichtsverlust beschert. Kählert mag rätselhafte Figuren, bei denen man nicht auf Anhieb weiß, was sie vorhaben und wohin sie getrieben werden. Eine zukünftige Traumrolle hat er deshalb nicht, sondern freut sich lieber auf Überraschungen. Beispielsweise auf das Stück Wie im Himmel (Premiere am 4. April) und seinen ersten Auftritt mit großem Orchester und Chor in der Oper. Als Freund großer Gewässer und als passionierter Spaziergänger mag er das Haus am Rhein. Geradezu hinreißend findet er die vielseitige Bonner Südstadt, in der er inzwischen wohnt.
„In meinem ersten Bonner Jahr hatte ich kaum Zeit für Erkundungen, jetzt fange ich langsam an, neugierig rumzulaufen und Sachen zu entdecken. Ich bin einfach offen für alles Mögliche und Vorstellbare.“ Timo Kählert ist halt ein nachdenklicher Realist, der sorgsam zwischen Utopien und Illusionen agiert.

Montag, 04.05.2020

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