Der Menschenfeind - Schauspielhaus - kultur 152 - Januar 2019

Der Menschenfeind
Foto: Thilo Beu
Der Menschenfeind
Foto: Thilo Beu

Zwischen Partytaumel und goldenem Bällebad

Der Mann ist der totale Partyschreck. Alceste ist ein rücksichtsloser Wahrheitsfanatiker, hasst oberflächliches Geschwätz, wütet gegen Politik, Medien und die ganze verlogene Gesellschaft. Die Welt ist für ihn ein Schlachtfeld. Schon zu Beginn erscheint sein weißer Anzug blutverschmiert. Am Ende wird er ein Ganzkörpertrikot tragen, das aussieht, als hätte man ihm bei lebendigem Leib die Haut abgezogen. Die bizarren ­Kos­tüme von Cary Gayler sind ein absoluter Hingucker in Jan Neumanns gnadenlos unterhaltsamer Inszenierung von Molières 1666 im Pariser Palais Royal uraufgeführter Komödie Le Misanthrope. Bis hin zum finalen Schaulaufen auf dem Boulevard der Eitelkeiten.
Wo Alceste auftritt, bewölkt sich der Himmel. Buchstäblich, denn eine Regenwolke am Bühnenhimmel wandert mit, wenn er wettert auf die „öde Plastik-Welt“, falsche Freunde und das ganze korrupte Bussi- und Prosecco-Gesindel. Alceste ist jedoch ein vielgepriesener Autor und Teil des zutiefst verachteten Systems aus Empfängen, Einladungen und Mauschelei. Man dekoriert sich gern mit seiner prominenten Anwesenheit. Und wenn er wieder mal alle brüskiert und sich echauffiert über die unnützen, moralfreien Wichtigtuer – das Risiko eines Rauswurfs ist gering. Er kann sogar schimpfen auf Spiegel, „Fatz“ und „Tatz“, sie loben ihn dennoch. Der glatzköpfige Daniel Stock, seit dieser Spielzeit neu im Bonner Ensemble und schnell zum Star des Hauses avanciert, verkörpert Alceste wie unter Starkstrom. Ständig in Bewegung, immer dabei, den falschen Schein zu entlarven. Natürlich auch das Theater selbst. Irgendwann reißt Alceste sogar den roten Teppich vom Bühnenboden weg: Alles Illusion, keine weltbedeutenden Bretter mehr.
Gespielt wird im städtischen Schauspielhaus Hans Magnus Enzensbergers Übertragung von 1979. Er verlegte die Situation vom höfischen Salon in die Schickeria der Bonner Republik. Sein Text ist ein brillantes Feuerwerk aus gereimten Versen und frechen Pointen. Das Schauspiel-Ensemble zelebriert die sprachlichen Finessen und lustvollen Invektiven geradezu emphatisch. Wobei Christian Czeremnych als Alcestes unerschütterlicher Freund Philinthe echte rhetorische Spitzenleistungen präsentiert. Nun ja, sein Outfit sehe aus wie ein Relikt aus Omas Spitzendeckchen-Mottenkiste, merkt die nüchterne Élianthe (Lena Geyer) mal ebenso spitz wie optisch begründet an. Neumanns Inszenierung verlängert Enzensbergers bald 40 Jahre alte Fassung furchtlos in die Gegenwart, schreckt vor krachenden Kalauern und Show-Klamauk nicht zurück und lässt schön böse glitzernde Konfetti-Kanonen knallen.
Weil die Bühne uns nun mal notorisch den Spiegel vorhalten soll, mischen sich die Schauspieler auch gern unters geneigte Publikum. Bei der Premiere musste ein Friedhelm in der ersten Reihe dran glauben; sicherer ist ein Tee mit der gar nicht so prüde verzopften Arsinoé (Lydia Stäubli) an der Bar. Ihr trockenes Zicken-Duell mit Célimène gehört sowieso zu den Höhepunkten der Welttheater-Geschichte. Hier verlegt in einen mit Goldbällchen gefüllten Swimming-Pool, in dem sich das Gesocks suhlt wie Dagobert Duck im Dollarbad.
Klar: Wenn sich ein egomanischer Weltverbesserer wider jede Vernunft verknallt, muss es mindestens ein Starkaliber wie das stinkreiche Glamour-Girl Célimène sein. Annika Schilling ist in der Glanzrolle nicht nur sängerisch jeder atemlos durch die Nacht taumelnden Helene gewachsen, sondern auch eine energiegeladene Gesellschaftsspielerin. Inkl. atemberaubend transparentem Bodywear zwischen Pool und falschem Prunk. Sie schreibt nur etwas zu viele Briefe (heutzutage wären es weitergeleitete Mails), was ihren Ruf leider kurzweilig ruiniert.
In einen silbernen Strampelanzug haben sie den einflussreichen Politiker und ehrgeizigen Dichter Oronte gesteckt. Bernd Braun erträgt in der Rolle allen Unfug mit Fassung, auch wenn Orontes lyrischer Erguss namens „Hoffnung“ jeder künstlerischen Anmutung entbehrt. Was Alceste ihn auch brutal spüren lässt, damit der Komödienplot sein erwünschtes bitteres Ende nimmt. Das männliche Intrigantenpaar Acaste (für den erkrankten verletzten Klaus Zmorek sprang kurzfristig Timo Kählert ein) und Clitandre (als Gast: Benjamin Morik) hat einen kokett marginalen Anteil am misanthropischen Vergnügen, bevor Célimène sich trotz aller Demütigungen fürs launige Leben und damit gegen den hochgelobten Stimmungs-Killer entscheidet.
Man muss ja nicht alles gleich total ernst nehmen, wenn ein bisschen Twitter-Donner und Blitz-Jamben reichen fürs schillernde soziale Standing. Das fischt frischfröhlich im Showgeschäft und bringt vielleicht sogar weitere Denkmotive. Ungetrübter Premierenbeifall mit Bravos für das exzellente Darsteller-Ensemble und das Inszenierungs-Team. E.E.-K.

Spieldauer ca. 3 kurzweilige Stunden, inkl. einer Pause
Die nächsten Vorstellungen:
5.01.// 13.01.(ausverkauft) // 19.01.(Restkarten) //
23.01. (Restkarten) // 3.02. // 9.02.19

Mittwoch, 30.01.2019

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