Holofernes - Oper Bonn - kultur 128 - Juli 2016

Holofernes
Foto: Thilo Beu
Holofernes
Foto: Thilo Beu

Interessante Wiederentdeckung


Zu Beginn des 21. Jahrhunderts sind mehrere Bühnenwerke des fast vergessenen Komponis­ten wiederbelebt worden. In Chemnitz kam 2010 die Uraufführung seiner Oper Benzin heraus, in Augsburg folgte 2012 die Wiederaufführung von Ritter Blaubart – übrigens unter der musikalischen Leitung von Dirk Kaftan, dem designierten Bonner GMD. Der Österreicher Emil Nikolaus von Reznicek (1860 -1945) entzieht sich den gängigen Epochen-Zuordnungen ebenso wie stilistischen Fixierungen. Das Etikett „Eklektizismus“ muss freilich kein Negativ-Urteil sein, denn es klingt gut, was da bei der mit Spannung erwarteten Reanimation seiner Holofernes-Oper am Bonner Opernhaus zu hören ist.
Unüberhörbar sind die Anklänge an den Freund und Förderer Richard Strauss und dessen Salome (1905), die historisch jüngere biblische Femme fatale. Die alttestamentarische Judith mordet eigenhändig aus Pflicht, aber Reznicek lässt die Ambivalenz ihrer Gefühle durchscheinen in seiner 1923 in Berlin uraufgeführten Oper, die in den folgenden Jahren noch einige weitere Vorstellungen erlebte und dann von den Spielplänen verschwand. Das Libretto hat der Komponist auf der Grundlage von Friedrich Hebbels Tragödie Judith selbst verfasst, die Handlung reduziert und die Konflikte psychologisch zugespitzt. Freuds Psychoanalyse und seine Entdeckung der Sexualität als Triebkraft menschlichen Handelns beschäftigten die Künstler des frühen 20. Jahrhunderts intensiv.
Mit den seltsam phallischen Riesenobjekten, die im Bühnenbild von Hank Irwin Kittel ­herumfliegen, wird diese Komponente indes so überbetont, dass die sensibel erotischen Töne eher untergehen. Auch die im Hintergrund aufdringlich eingespielten Videos von geköpften Babypuppen und die Bilder aus dem amerikanischen Stummfilm Judith of Bethulia von 1914 wirken nicht sonderlich erhellend. Regisseur Jürgen R. Weber und sein Inszenierungsteam entfalten einen visuellen Overkill. Die archaisch-klotzigen Fantasy-Kostüme von ­Kristopher Kempf suggerieren einen Bibel-Comic. Dabei ist die Musik doch schon illustrativ genug. Unter der Leitung des neuen Opern-Chefdirigenten Jacques Lacombe bringt das Beethoven Orchester Bonn den schillernden Farbenreichtum der Partitur zum Leuchten.
In der Titelpartie glänzt der Bariton Mark Morouse. Von seinem hohen Thronturm aus beherrscht er das Kriegslager der Assyrer. Ein ehrgeiziger Gewaltmensch (im Hintergrund sind die demonstrativ aufgespießten Leichen von Widersachern zu sehen), der jeden Anflug von Ungehorsam brutal bestraft. Aber auch ein sinnenfroher Genießer, der sich nimmt, was ihm gefällt. Darauf spekuliert die schöne Witwe Judith aus der belagerten Hebräerstadt Bethulia, der Holofernes‘ Heer das lebensnotwendige Wasser (die gurkenähnlichen Gebilde könnten auch Schläuche sein für die letzten Reserven) abgeschnitten hat. Grandios verkörpert die Sopranistin Johanni van Oostrum die gottesfürchtige Frau, die im kurzen ersten Akt noch an ihrer großen Aufgabe zweifelt und sich betend und fastend auf den ultimativen Terrorakt vorbereitet. Die sexuell ausgehungerten Männer im feindlichen Gebiet schwingen schon die Hüften, wenn sie bräutlich geschmückt auftaucht vor dem Tor des mächtigen Holofernes. Judith spart nicht mit verführerischen Avancen bis hin zu einer heißen Pole-Dance-Nummer. Für orientalisches Flair beim Fest-Gelage sorgt zudem die Tänzerin Karika, Nina Unden ist die weibliche Stimme in dem ekstatischen Taumel der schwülen Sinnenlust.
Dann geht’s ins Zelt und zur blutigen Dekapitation. Hilfreich unterstützt von Judiths treuer Dienerin Abra, der Ceri Williams nicht nur ihre tiefe Mezzosopran-Stimme gönnt, sondern auch ihr Talent als agile Komikerin. Der Tenor Johannes Mertes gibt den warnenden Hauptmann Achior, der junge Bass Daniel Pannermayr den strenggläubigen hebräischen Oberpriester. Die Nebenrollen des bethulischen Bürgers Assad und des Gesandten von Mesopotamien sind mit dem Bass Martin Tzonev stimmlich opulent besetzt. Der Opernchor (inkl. Solis­ten) unter der Leitung von Marco Medved ist sängerisch und spielerisch ein Highlight.
Die attraktive Mörderin Judith wird ihren Terrorakt im feindlichen Lager und ihren Triumph im heimischen Bethulien nicht überleben. Die Liebesnacht mit dem faszinierend virilen Machtmenschen hat sie verstört. Dass sie ihm keinen Sohn gebären will, ist politisch plausibel. Schlimmer ist: Ihr kalter Mut wich einem animalischen erotischen Verlangen. Und das ist für sie unerträglich.
Die sündhaft schöne Musik berührt mit tollen Effekten, die Inszenierung tappt trotz aller ironischen Distanz in die Kitschfalle. Weniger Bühnen­opulenz wäre mehr gewesen bei dieser Reanimation einer Oper, die nicht völlig grundlos den Sprung ins Repertoire verpasste.
Bei der Premiere verteilte sich der Beifall deutlich: Überzeugter Applaus für alle musikalischen Akteure, Buh-Sturm für das Inszenierungs-Team. Das umfangreiche, exzellente Programmheft wurde vom Urenkel des Komponis­ten mitfinanziert. Es bleibt ein Verdienst der Oper Bonn, das Werk überhaupt wieder zur Dis­kussion gestellt und über Rundfunkmitschnitte auch einem größeren Publikum zugänglich gemacht zu haben. E.E.-K.

Spieldauer ca. 2 Std. inkl. einer Pause
Letzte Vorstellung:
3.07.16

Donnerstag, 13.10.2016

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