Die Pest - Theater im Ballsaal - kultur 111 - Dezember 2014

Chronik einer Heimsuchung



Wie ein Drama aufgebaut ist der 1947 erschienene berühmte Roman des französischen Literatur-Nobelpreisträgers Albert Camus (1913 – 1960). Im Theater im Ballsaal hat Frank Heuel, Leiter des Bonner Fringe-Ensembles, Die Pest als Monolog inszeniert. Sehr ernst, ohne Regie-Albernheiten, aber mit einem raffinierten theatralen Rhythmus. Es ist Camus‘ nüchtern berichtender Text, den der Schauspieler Andreas Meidinger spricht. Er ist der Chronist des Ausnahmezustands, in den die algerische Hafenstadt Oran gerät, nachdem plötzlich überall tote Ratten auftauchen und die Pest Einzug hält ins Leben der Bewohner. Wie im Roman gibt er sich am Ende als der Arzt Rieux zu erkennen, der diesen Bericht verfasst hat, weil er „für diese Pestkranken Zeugnis ablegen und wenigstens ein Zeichen zur Erinnerung an die ihnen zugefügte Ungerechtigkeit und Gewalt hinterlassen“ wollte.
Es geht dabei nur vordergründig um die Seuche (angesichts der aktuellen Ebola-Epidemie hoch aktuell), sondern um humane Solidarität. „Der Mensch ist keine Idee“, sagt ­Rieux einmal und fordert schlicht „Anstand“ gegenüber dem Leiden.
Auf Drehstühlen sitzt das Publikum im ganzen Raum (Ausstattung: Annika Ley) verteilt. Um seine Gesundheit nicht zu gefährden, darf man diese nicht verrücken oder verlassen, wird vor der Vorstellung gemahnt. Was nicht nur mit der Ansteckungsgefahr in der abgeriegelten Stadt zu tun hat, sondern mit den Lampen, die in einer sorgfältigen Choreo­graphie vom Bühnenhimmel herunterfahren.
Anfangs wandert der Erzähler im Dunkel zwischen den Zuhörern herum. Auf dem Boden landen die Leuchtkörper in einer zutiefst berührenden Szene, die den qualvollen Tod eines Kindes schildert. Dieses sieht man nicht, aber per Video die hilflosen Zuschauer: ­Rieux und den Professor Castel, der ein Serum gegen die Seuche entwickelt hat, den jungen Tarrou, der Schutztruppen für die Kranken anführt, den Journalisten Rambert, der seine Fluchtversuche aufgab, und den Jesuitenpater Paneloux, der in seinen flammenden Predigten die Pest zur Strafe Gottes erklärte.
Meidinger spielt fabelhaft genau alle Figuren, rast auf dem Höhepunkt der Masseninfektion durch den Raum und bringt die schwarz verhängten Lautsprecher mit ihren ‚normalen‘ Stadtgeräuschen, in die sich bedrohlich Schüsse mischen, wie Pendel zum tödlichen Schwingen. Es gibt indes auch komische Figuren wie Rieux‘ asthmatischen Dauerpatienten, der erbsenzählend die Zeit misst und kichernd die Rattenplage begrüßt. Kopierer spucken von oben Rattenbilder ins Publikum. Denn auch wenn schließlich die Infektionen so zufällig abklingen, wie sie kamen, und die Stadt sich festlich wieder öffnet – besiegt ist die Pest keineswegs. Man muss indes wie Sisyphos immer wieder neu anfangen. Aus grundsätzlicher Verantwortung für die Menschheit.
Die beeindruckende Aufführung im Ballsaal geht nicht eben mal kurz die Welt retten, sondern ohne ironisch gebrochenen Pessimismus dramatisch exzellent auf die Suche nach der Absurdität des Daseins. Die Leis­tung des Schauspielers Andreas Meidinger gehört zum Besten, was bisher in der ganzen Bonner Theatersaison zu erleben war. Dringend empfehlenswert!

Spieldauer ca. 90 Minuten, keine Pause
die Nächsten Termine:
3.12. // 4.12.14

Donnerstag, 15.01.2015

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