Unsuk Chin (*1961)

kultur 104 - März 2014

Die in Seoul geborene südkoreanische Komponistin lebt und arbeitet heutzutage in Berlin. Sie studierte Komposition bei Sukhi Kang an der Staatlichen Universität Seoul und von 1985 bis 1988 als DAAD-Stipendiatin bei Györgi Ligeti an der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst in Hamburg. In dieser Zeit kam es zu einer dreijährigen Schaffenspause, während der Chin ihren eigenen musikalischen Weg suchte. 1988 siedelte die Komponistin nach Berlin über. Hier arbeitete sie jahrelang als freischaffende Tonkünstlerin im Tonstudio der Technischen Universität Berlin. Dort entstanden insgesamt sieben ihrer Werke. Die Arbeit mit elektronischer Musik stellt einen wichtigen Einfluss auf ihr Œuvre dar, ebenso wie die Gamelanmusik (s.u.), mit der sich Chin bei ihren Aufenthalten auf Bali beschäftigte.
Ihr erstes größeres Orchesterwerk Troerinnen wurde 1990 vom Bergen Philharmonic Orchestra uraufgeführt. Im Jahr darauf gelang ihr als Komponistin der Durchbruch mit dem Stück Akrostichon-Wortspiel, das im Auftrag des Nieuw-Ensemble entstand und seither in 15 Ländern Europas, Asiens und Nordamerikas aufgeführt wurde. Dieses Werk verwendet Texte aus Michael Endes Die Unendliche Geschichte und Lewis Carrolls Alice hinter den Spiegeln.
Seit 1995 werden ihre Werke beim Verlag Boosey & Hawkes verlegt. Im Jahre 1999 begann die Zusammenarbeit mit dem Dirigenten Kent Nagano, der bislang fünf ihrer Werke uraufgeführt hat. Auch ihr 2002 uraufgeführtes Violinkonzert war äußerst erfolgreich – für diese Komposition erhielt sie zwei Jahre später den renommierten Grawemeyer Award. 2005 wurde Chin mit dem Arnold-Schönberg-Preis ausgezeichnet. Zwei Jahre später wurde ihre erste Oper Alice in Wonderland an der Bayerischen Staatsoper uraufgeführt und bei einer internationalen Kritikerumfrage der Fachzeitschrift Opernwelt zur Uraufführung des Jahres gewählt. 2010 erhielt sie den Preis für musikalische Komposition der Stiftung Fürst Pierre von Monaco. Ihre Werke wurden und werden von führenden Orchestern und Ensembles aus Europa, Amerika und Asien uraufgeführt. Zu ihren Auftraggebern zählen unter anderen das Kronos Quartet, BBC, Los Angeles Opera und die Bayerische Staatsoper.
Chin hat ein Faible für Virtuosität, was sich in den immensen instrumentalen und sanglichen Herausforderungen ihrer Werke widerspiegelt. Ihre Vokalwerke zeichnen sich durch Experimentierlust aus und nehmen oft experimentelle Poesie als Grundlage. Chin vertonte beispielsweise Texte von Wolfgang Rühm oder Unica Zürn. Der Titel ihrer Komposition Cantatrix Sopranica ist einer Nonsense-Abhandlung Georges Perecs entlehnt. „Gedichte in Musik zu setzen, die konkrete Inhalte oder Gefühle transportieren, behagt mir nicht sonderlich. Musik und Literatur sind stark eigengesetzliche „Sprachen“ die sich in ihrer Verbindung nicht selten gegenseitig im Wege stehen. Der Vorteil der Kombinatorik experimenteller Lyrik ist in meinen Augen (und Ohren) nicht nur ihr Mangel an konkretem Sinn und „Botschaften“, sondern vor allem ihre Nähe zu kompositorischen Verfahrensweisen.“ (Chin)
In Chins Kompositionen wechseln sich (seit ihrem Akrostichon-Wortspiel) unterschiedliche Instrumentalklänge in schneller Folge ab, wodurch ihre Musik häufig zu „schillern“ scheint. In vielen Werken lässt sich eine Vorliebe für den Klang geschlagener und gezupfter Saiten und für Glocken und Gongs beobachten. Die Komponistin deckt die verschiedenen Farben der Instrumente auf und offenbart dabei eine erstaunliche klangliche Phantasie. „Meine Musik ist das Abbild meiner Träume. Die Visionen von immensem Licht und von unwahrscheinlicher Farbenpracht, die ich in allen meinen Träumen erblicke, versuche ich in meiner Musik darzustellen als ein Spiel von Licht und Farben, die durch den Raum fließen und gleichzeitig eine plastische Klang­skulptur bilden, deren Schönheit sehr abstrakt und auch distanziert ist, aber gerade dadurch unmittelbar die Gefühle anspricht und Freude und Wärme vermittelt.“
Martin Wilkening schrieb in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung über ihr Œuvre: „Chins Musik besitzt etwas sehr Seltenes: einen Wohlklang, der sich umstandslos auch ein größeres Publikum geneigt macht, ohne sich anzubiedern. Das sanfte, scheinbar ziellose Schweben in der Zeit, das die meisten Stücke Chins prägt, findet auch zu Brüchen, Kanten; die Klänge so ziseliert und kostbar geschliffen sie scheinen, sind nicht von widerspruchsloser Glätte, in ihrer Biegsamkeit blitzen auch Momente von harter elementarer Expressivität auf, sind treibender Untergrund dieser Musik.“ E.H.

Dienstag, 05.08.2014

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