Manon Lescaut (Oper Bonn) - kultur 80 - November 2011

Manon Lescaut von Giacomo Puccini in der Oper: Gefährliche Sucht nach Luxus und Liebe

Ein merkwürdiges Raumschiff scheint aus den Wolken auf der Bühne gelandet zu sein. Ein dreh- und schwenkbarer Steg führt über die raffiniert beleuchtete Kuppel, mit der Bühnenbildner Hartmut Schörghuber einen fast außerirdischen Raum geschaffen hat für die tödliche Lebensreise der Manon Lescaut von der beschaulichen Provinz über das vergnügungssüchtige Paris in die amerikanische Wüste. Regisseurin Christine Mielitz legt eine unterkühlte Melancholie über die frivole Endzeitstimmung des frühen 18.Jahrhunderts in Frankreich, in dem Puccinis Romanvorlage angesiedelt ist. Die Protagonis­ten in dem 1731 erschienenen Werk des Abbé Prévost sind keine großen Helden, sondern menschlich schwach, egoistisch und süchtig nach dem Glück in der Liebe oder im Spiel um erotische oder finanzielle Macht. Die Bühne weckt auch Assoziationen an eine Rouletteschüssel, in der die Kugeln kreisen und zufällig Gewinner und Verlierer bestimmen.
Munter ist das als Glamourshow präsentierte Studentenmilieu in Amiens, wo Tansel Akzeybek als Revuestar Edmond mit hellem Tenor und frechem Griff unter die Gürtellinie seine Kommilitonen locker aufmischt. Wie aus einer anderen Welt erscheint das hübsche Landei Manon Lescaut auf der Durchreise in ein Kloster, wohin väterliche Fürsorge das reizende Geschöpf zwecks Schutz vor allen weltlichen Versuchungen wegsperren will. Manons Bruder, der Sergeant Lescaut, hat spätestens auf der Fahrt in Begleitung des reichen Finanzbeamten Geronte de Ravoir begriffen, dass die Schönheit seiner Schwester eher auf den lukrativen Liebesmarkt gehört als hinter schlichte Klostermauern. Mark Morouse singt den geschäftigen Gefühlsmakler mit hinreißend beweglichem Bariton.
Brüderlich zynische Intelligenz ist durchaus erforderlich, wenn die schöne Manon mit dem Hals über Kopf unsterblich in sie verknallten Chevalier Renato des Grieux durchbrennt. Der brillante Tenor Michael Ende gibt diesem verlotterten Adelsspross eine empfindsame Würde und seiner anspruchsvollen Partie stimmlichen Hochglanz. Des ­Grieux ist der kapriziösen Manon jenseits aller Zweifel verfallen und nimmt ihre kostbaren Tränen als Diamanten, die direkt ins Herz schneiden. Das Liebesglück in seiner ärmlichen Pariser Studentenbude ist leider kurz und wird bei Puccini zwischen dem ersten und zweiten Akt einfach übersprungen.
Manon hat sich – wie vorhersehbar – für Gerontes Reichtum entschieden. Kurt Gysen verkörpert diese Bassrolle mit schönen Nuancen: Keine komische Figur, sondern ein durchaus attraktiver Medienmagnat, der seine neue Eroberung zur Schau stellt. Prachtvoll ergießt sich deren goldenes Kleid (Kostüme: Corinna Crome) von hoch oben über die ganze Luxusszenerie. Unten zelebrieren Showgirls und ein androgyner Musiker in silbernem Frack (stimmlich glänzend: Kathrin Leidig) das, was Businessleute für Kunst halten. Angewidert wünscht sich Manon zurück in die Arme des mittellosen Chevaliers. Die russische Sopranistin Galina Shesterneva überzeugt in der sängerisch höchst anspruchsvollen Titelrolle stimmlich und darstellerisch in jedem Moment. Sie ist das naive Mädchen, das von der großen Welt träumt und bitter enttäuscht zur Hure degradiert wird. Sie ist egozentrisch und völlig amoralisch und am Ende so verletzlich, dass es zu Tränen rührt. Sie ist zwar mehr energische femme fatale als tragische femme fragile, bringt aber alle Stimmfarben ihrer Partie zum Leuchten. Wunderbar ist das emotional tief unter die Haut gehende Liebesduett mit Des Grieux, bevor Manon ihren Gönner bös beleidigt und mit ihrem Lover als Gaunerpaar verhaftet wird.
Nach dem musikalischen Intermezzo vor dem dritten Akt, bei dem Stefan Blunier am Pult des fabelhaft genau alle Töne auslotenden ­Beethovenorchesters das traurige Ende andeutet (so leidenschaftlich vibrierend hört man diese Ouvertüre des Niedergangs selten, insgesamt ist das Orchester ein entscheidender Akteur im dramatischen Dis­kurs), wird’s grau und unheimlich vor den bedrohlich sich auftürmenden Wolkengebirgen (Videos: Thomas Zengerle). Eine Brücke ins bürgerliche Leben gibt’s nicht mehr für die Frauen, die als Futter für den Aufbau von Kolonien jenseits des Ozeans dienen sollen. Der Laufsteg wird zur steilen Rutschbahn für Manon, die im feinen Gesellschaftskleid noch teurem Schmuck oder Luftballons hinterherjagte, als alle Hoffnung schon verflogen war.
Des Grieux erkämpft sich einen Platz an Manons Seite auf dem Dampfer ins Unglück, erschießt kurzerhand vorher noch den hilfreichen Bruder seiner Geliebten und bricht an deren vom Lebensdurst ausgetrock­neten Leiche zusammen. Weil alles ja Oper ist, glüht über Manons Weltabschied ironisch ein postkartenfahler Himmel.
Der Opernchor unter der Leitung von Sibylle Wagner hat das Geschehen wie immer perfekt begleitet. Dass die Herren gelegentlich als UN-Friedenssoldaten mit himmelblauen Baretts ihren Dienst verrichten, ist ein hübsches Gegenwartssignal, tut aber nichts zur Sache, die musikalisch und sängerisch zweifellos ein absolutes Highlight am Bonner Opernhimmel ist. E.E.-K.

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Spieldauer ca. 2¾ Stunden inkl. einer Pause.
Im Programm bis 4.03.2012
Die weiteren Termine:
5.11.11 // 4.12.11 // 26.01.12// 5.02.12 // 4.03.12

Dienstag, 07.02.2012

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