Schwester - kultur 87 - Juni 2012

Schwester von Jon Fosse im Theater Marabu: Kleines Kinderglück

Schön ist es draußen an diesem Sommertag. Das kann man doch nicht verschlafen, denkt der vierjährige Junge und spaziert früh morgens zum Fjord. Da ist alles voller Leben. Er bewundert die wie Haare im Wind tanzenden Grashalme, die glitzernden Wellen, die sachte ans Ufer schwappen, und die kleinen weißen Wolken am Himmel. Bis die besorgte Mama den kleinen Ausreißer unsanft aus seinen Träumen weckt und im Haus einsperrt, als ob er etwas Schlimmes getan hätte. Einen komischen dicken Mann hat er auch gesehen, in dessen Bauch glatt der Junge und dessen kleine Schwester passen würden. Das Mädchen hört den Berichten des großen Bruders gespannt zu und legt zärtlich den Arm um seinen Bauch. Mehr passiert im Grunde nicht in dem Stück Schwester von Jon Fosse, das in der Regie von Claus Overkamp am Theater Marabu seine Uraufführung erlebte.
Fosse (*1959), der nach Ibsen international meist gespielte norwegische Dramatiker, ist ein szenischer Minimalist, der ganz leise Oberflächenrisse aufdeckt und dem geheimnisvollen Schweigen viel Raum gönnt. Dass Schwester, 2007 mit dem Deutschen Jugendliteraturpreis ausgezeichnet, den Bonner Marabus anvertraut wurde, spricht für deren Renommee. Overkamps Inszenierung im transparenten Bühnenbild von Tina Jücker und Regina Rösing ist ein poetisches Spiel mit kindlichen Fantasien. Die Schauspieler Philip Schlomm und Hannah Biedermann sind die kleinen Entdecker der großen Weltwunder, machen aus einer Waschschüssel ein Meer, zaubern eine blühende Wiese herbei und erschaffen sich eine eigene Wirklichkeit aus Wörtern, Klängen und Bildern.
Den Freiheitsentzug lässt sich der Junge natürlich nicht gefallen. Er will schließlich frische Luft und keinen Eltern-/Tantenmief. Die seltsamen Erwachsenen können gewitzten Kindern sonst was erklären und sind schon in ihrer körperlichen Fülle schlicht lächerlich. Groteske Wesen mit völlig falschen Proportionen, die sich merkwürdig ungezogen verhalten. Wieso duzt die strenge Mama den fremden dicken Mann? Warum lachen alle, wenn der Junge sagt, was er sieht? Warum fassen sie Kinder einfach an, als ob die nicht auch eine Privatsphäre hätten? Irgendetwas Unbegreifliches bedroht die heile Kinderwelt, in der Geschwister einfach die Köpfe glücklich aneinander lehnen dürfen und träumen von Bergen, die unter dem Wasserspiegel wachsen, weisen Plüschbären und unbekümmerten Spielen am Fjordufer.
Die Schatten der Zeit deuten sich nur schemenhaft an in dieser wunderbar sensiblen Spurensuche nach der kindlichen Wahrnehmung der Welt. Keine große Geschichte, sondern ein Theater-Glücksmoment voller Zärtlichkeit und feiner Poesie. E.E.-K.

******
Spieldauer ca. 50 Minuten, keine Pause.
Nächster Termin: 3.06.
Für Zuschauer ab 5 Jahren.



Montag, 29.10.2012

Zurück

Merkliste

Veranstaltung

Momentan befinden sich keine Einträge in Ihrer Merkliste.


Letzte Aktualisierung: 26.04.2024 19:01 Uhr     © 2024 Theatergemeinde BONN | Bonner Talweg 10 | 53113 Bonn