New Work, by Edouard Lock - kultur 74 - März 2011

Brillante Todes-Tanzkunst: New Work, by Edouard Lock - Tanz-Gastspiel in der Oper

Minutenlanges Verharren auf der Spitze, atemberaubende Pirouetten, perfekte Körperbeherrschung mit irrsinnig schnellen Armbewegungen – die weltberühmte Compagnie La La La Human Steps aus Kanada zeigte in ihrer neuen, Anfang 2011 in Amsterdam uraufgeführten, noch unbetitelten Produktion fabelhafte ästhetische Präzision. Große Gefühle schlichen sich jedoch selten ein auf der nur von sich überschneidenden Lichtkegeln erhellten dunklen Bühne.
Scharfe und auf die Dauer ermüdende Kontras­te bestimmen die Szenen. In Licht-Spots treffen sich Paare in hinreißend schön getanzten individuellen Konstellationen und werden zu beliebigen Passanten in der ständigen Wiederholung. Der persönliche Ausdruck verschwindet in der strengen Mechanik der rasanten Abläufe und durch die kaum zu unterscheidenden Kostüme der Akteure. Nur die mit großem Aplomb angekündigte russische Primaballerina Diana Vishneva lässt ab und zu in weniger abgezirkelten Bewegungen leise Emotionen aufscheinen.
Um das Verschwinden des einmaligen Liebes-Glücksmoments in der Zeit geht es in diesem sehr abstrakten Tanztheater, das die zu Grunde liegenden Geschichten von Dido und Aeneas und Orpheus und Eurydike nur von fern erahnen lässt. Erzählt werden sie in gut 90 Minuten nicht, aber angedeutet von dem vierköpfigen Orchester, das mit Klavier, Cello, Viola und diversen Saxophonen live einen raffinierten Barocksound auf der Tonspur von Purcell und Gluck liefert, in den sich ab und zu schräge Rhythmen und elektronisch verfremdete Alltagsgeräusche mischen. Bruchstücke von Bühnenrahmen fahren auf und ab, per Video erscheint eine junge Frau neben einer alten. Zeigen die Gesichter auf den riesigen Bildschirmen noch dieselbe Person? Hat die Zeit die Menschen von sich selbst getrennt? Floh Aeneas vor den Lebensspuren im Antlitz der geliebten Dido, die verzweifelt den Tod suchte? Begehrte Orpheus eine durch den Tod in ewiger Jugend erstarrte Eurydike? Weil auch das Schöne unerbittlich sterben muss…
„Einmal nur erweichte die Liebe den Schattenbeherrscher,/ Und an der Schwelle noch, streng, rief er zurück sein Geschenk.“, heißt es in Schillers Nänie. Edouard Locks klassizis­tisch kühle und gleichzeitig radikal moderne Choreographie weckt eine Ahnung vom Verlust der Aufgehobenheit im Mythos. Tanzmythen und -figuren des romantischen Handlungsballetts vibrieren nach in seiner postnarrativen Dekonstruktion der erotischen Leidenschaft. Erst ganz am Ende erlaubt er doch ein Innehalten im Taumel der Vergänglichkeit. Eurydikes von Orpheus’ Liebesblick verursachter ätherischer Tanz ins zeitlose Reich der Seligen berührt in der Darstellung von Diana Vishneva zutiefst.
Ansonsten: Technische Virtuosität in Vollendung, extreme Kunstanstrengung ohne Tiefenwirkung. Verstörend schön und seltsam unsinnlich, aber nicht klanglos. Der Eindruck bei den beiden restlos ausverkauften Abenden blieb zwiespältig.
Ein klassischer Schwanensee vom St. Petersburger Kirow-Ballett, zu dessen Ensemble der Weltstar Vishneva immer noch gehört, ist übrigens für die nächste Bonner Tanz-Highlights-Saison bereits geplant. E.E.-K.

Donnerstag, 01.12.2011

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