Antilopen - kultur 68 - Juni 2009

Traurige Tropen - Antilopen von Henning Mankell in der Pathologie

Die Schwarzen bleiben unsichtbar in Henning Mankells 1991 uraufgeführtem Afrika-Drama Antilopen. Das nachlässige Hausmädchen, das nicht begreift, warum es seine Bluse zuknöpfen soll, der unheimliche alte Wächter, der vor der Haustür verblutete junge Mann – sie sind durchaus reale Bedrohungen der mächtigen Europäer, die mit viel Geld und Idealismus viel Gutes beabsichtigten. Man hat sich verbarrikadiert und bewaffnet gegen die stets fremd gebliebenen Einheimischen, ihre erkaufte Dienstfertigkeit, ihre undurchschaubare Gewalttätigkeit, ihren stummen Spott angesichts der redlichen Bemühungen der weißen, selbsternannten Heilsbringer.
Es ist der letzte Abend eines schwedischen Ehepaars vor der Abreise aus Afrika. Mehr als ein Jahrzehnt waren sie als Entwicklungshelfer tätig auf dem schwarzen Kontinent. Von vierhundert Brunnen funktionieren noch drei. Die Vergeblichkeit zerrt an den Nerven wie die drückende Hitze und das in allen Ecken lauernde Ungeziefer. Widerliche Würmer haben sich in der Ferse des Mannes eingenistet und werden von der Frau per Stricknadel-Operation entfernt. Beide haben ihre Unschuld verloren beim hilflosen Versuch, ihre Zivilisation den Menschen Afrikas aufzuzwingen, den Hunger und den Schmutz zu besiegen. Die sinnliche Faszination der afrikanischen Tropen ist der Angst und dem Ekel gewichen, die magische Weite des Landes einer inneren Leere.
Reinar Ortmann inszeniert im Theater „Die Pathologie“ einen fiebrigen Kreislauf der Hoffnungslosigkeit. Auf der kleinen Bühne kriecht die schweißtreibende Furcht vor den geheimnisvollen ‚Anderen’ sehr nah an die Zuschauer heran. Martin-Maria Vogel spielt mit gespenstischer Genauigkeit den von Selbstekel und gescheiterten Illusionen zerfressenen Mann kurz vor dem Wahnsinn. Jedes Geräusch lässt ihn zusammenzucken, jedes bissige Wort seiner Frau reißt Wunden auf. Maren Pfeiffer stemmt sich mit verletzlicher Würde und grimmiger Ironie gegen den Verlust der Orientierung in Raum und Zeit. Doch auch ihre Sehnsucht ist gestorben: Aus dem Traum von den schönen Antilopen wurden traurige Jagdtrophäen, und von der mühsamen Aufbauarbeit blieb ein Albtraum. Den verkörpert der mit zunehmender Ungeduld und reichlich Alkohol erwartete Nachfolger. Thomas Franke gibt ihn als kampf­erprobten Kolonialherren, der nach einem anständigen Bad knallhart aufzuräumen verspricht, was seine Vorgänger versäumten. Doch seine fahrigen Bewegungen und verirrten Blicke verraten schon die unaufhaltsame Niederlage.
„Helfen wir ihnen zu leben oder helfen wir ihnen zu sterben?“ – die Frage bleibt offen.
Glücklicherweise nicht ganz, denn die „Pathologie“ setzt sich mit dieser gelungenen, bei den ausverkauften ersten beiden Vorstellungen mit langem Beifall belohnten Produktion auch ein für „eine andere Entwicklungspolitik“ in Afrika. Außerdem hat das Theater Chosen One adoptiert, eine afrikanische Ratte, die in Mankells Wahlheimat Mozambique darauf konditioniert wird, Landminen aufzuspüren. Von jeder ohnehin schon preiswerten Pathologie-Karte wandern also ein paar Cent in dieses Projekt.
Der „Pathologie“-Chef Reinar Ortmann verabschiedet sich mit den „Antilopen“ aus der Bonner freien Szene und geht als Dramaturg ans Schauspiel Düsseldorf. Die Leitung des Theaters übernimmt ab der nächs­ten Saison Maren Pfeiffer. E.E.-K.

Aufführungsdauer: ca.1 Std., ohne Pause
Wiederaufnahme in der nächsten Spielzeit.

Donnerstag, 14.01.2010

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