Ich weiß es doch auch nicht - kultur 91 - Dezember 2012

"Ich weiß es doch auch nicht" – Wilfried Schmickler im Pantheon (17.10.12): Wir kümmern uns drum

Lärm und Stille, Gehör finden oder nicht, Ruhe ertragen können oder nicht – immer wieder kommt Wilfried Schmickler auf das laute Rauschen der heutigen Welt zu sprechen. Steht er allein da, mit seiner Sehnsucht nach Stille oder echter Kommunikation, danach, Raum zum Denken zu finden und den Trichter des Mainstreams vom eigenen Kopf mal fernzuhalten?
Für Leute, die Rosamunde-Pilcher-Filme ohne Ton sehen, einfach nur der Landschaft wegen, hat er ein gewisses Verständnis. Und warum muss im Mainstream-Radio Musik immer mit Text sein? Warum nicht einfach mal wieder Beethoven hören und die eigenem Gedanken spielen zu lassen?
Warum nicht? Weil hier die Gefahr der Stille zum Tragen käme: Diese könnte ja schlechte Laune und Nachdenken über all die unbeantworteten Fragen der Welt mit sich bringen. Um die allerdings geht es in diesem Programm. Ich weiß es doch auch nicht heißt das titelgebende Lied – dargeboten als Sprechgesang mit freundlich-minimalistischem Tanzstil: „Ja ich weiß es doch auch nicht – wie sollte ich doch? Ich hab schon so viele Löcher im Bauch. Doch auch wenn ich’s nicht weiß, wer es denn weiß: Ich verspreche hochheilig: Ich kümmer mich drum."
Die Spannweite der nicht zu findenden Antworten reicht von absurden Fragen des Alltags bis zu den großen Problemen der Welt. Während bei ersteren vielleicht nur milde Resignation als Antwort bleibt, nimmt Schmickler bei den großen Dingen glaubhaft die Rolle des sensiblen Warnenden an, dem allerdings zunächst eine Antwort fehlt, wie man den Untertan Welt noch vor der Zerstörung durch den Bewohner Mensch retten kann.
Schmickler ist sich als politischer Kabarettist treu geblieben. Großartig sind seine Szenarien politischer Protagonisten, die in seinen Kurzgeschichten bestens vorstellbar zum Leben erwachen - z.B. wie Peter Bofinger und Hans Werner Sinn in die Expertenhölle fahren, oder Dirk Niebel „mit Mütze wie ein drittklassiger Rambodarsteller” auftritt. Und Guido Westerwelle rangiere mit seinen Umfragewerten „zwischen Sepp Blatter und dem EHEC-Erreger”... Positiv hingegen Schmicklers Urteil zu Helmut Schmidt: „der einzige rauchende Kopf, der noch ganz dicht ist und Antworten auf alle Fragen geben könnte”.
Natürlich dürfen die Themen Griechenland und Euro nicht fehlen, aber ehe das nachrichtenübersättigte Publikum aufstöhnen könnte, ist es schon mitgerissen von Schmicklers Schilderung seines letzten Alptraums: „Ich habe geträumt, ich sei ein Euro. Mit mir ging es bergab, freier Fall nach unten...”.
Schmickler bringt Sprachspiele auf hohem Niveau, beiläufig eingewoben in seine Szenarien, zum Beispiel den Kampf der Antignostiker gegen die Prognostiker, ausgetragen im „Südoldenburger Einzelhandelsblatt für Makroökonomie (SOFMÖ)”: Zahlenkolonnen dienen als tödliches Wurfmaterial, Prinzipienreiter bilden die vorderste Garde...
Im zweiten Teil des Programms zeigt sich verstärkt der zukunftskritische Schmickler – der das Publikum mit elementaren Fragen konfrontiert: „Was kann man tun, wenn das so weiter geht? Legen Sie Erdölvorräte an, horten Sie Medikamente, legen Sie Organe in die Tiefkühltruhe!”
Wesentlich einfacher sei zunächst der Kampf gegen die Piraten-Partei: „Stecker ziehen, warten bis der Akku leer ist.”
Schmickler wettert in beeindruckendem Schnellsprech-Rap gegen das blinde „Vorwärtskommenwollen” des modernen, flexiblen, mobilen Menschen: ohne Solidarität, ohne Blicke nach rechts und links, ohne Fragen nach dem „Warum”, egal wie, Hauptsache schnell. Warum eigentlich gebe es noch keinen „haircut to go”?
Und doch lässt Schmickler sein Publikum nicht einfach so in die Kälte der Welt hinaus: Da bleibt das Versprechen in seinem letzten Lied: „Wir versprechen hochheilig: Wir kümmern uns drum.“
Ein gelungener Abend im vollbesetzten Pantheon!

Juliane Schmidt-Sodingen

Donnerstag, 14.02.2013

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