Zwei Welten - kultur 61 - Dezember 2009

Heißes Eisen - Zwei Welten - Doku-Stück in den Kammerspielen

Für viel Wirbel schon im Vorfeld sorgte die Uraufführung von Zwei Welten, einem Stück, mit dem das Stadttheater sich einmischt in die Lebenswirklichkeit in seinem unmittelbaren Umfeld. Den einst so friedlichen Diplomatenstadtteil Bad Godesberg plötzlich bundesweit in den Medien als „Bad-Go-Area“ abgestempelt zu finden, ging einigen Lokalpolitikern und dem Stadtmarketing-Verein ziemlich gegen den Strich. Man solle die Situation nicht dramatisieren, hieß es. Doch genau um die Darstellung eines unübersehbaren gesellschaftlichen Wandels mit den künstlerischen Mitteln der Bühne geht es in Frank Heuels Inszenierung. Also um die dramatische Zuspitzung von Sachverhalten. Schlichte Lösungen bietet das Theaterstück ebenso wenig an wie Bundes-Banker Thilo Sarrazins viel gescholtener ruppiger Angriff auf die Toleranz-Seligkeit. Alle sind Täter und Opfer beim Zusammenprall zweier Welten, der hier nicht gleich zum blutigen Kampf der Kulturen hochstilisiert wird, sondern eher unspektakulär daherkommt. Die einen wollen haben, was die anderen besitzen: schicke Handys und teure Klamotten, Geld, Spaß und Erfolg. Was man nicht selbstverständlich bekommt, nimmt man sich mit Gewalt. Wer zu Hause Schläge gewohnt ist, langt auch auf der Straße kräftig zu. Wer genug Taschengeld für den VIP-Bereich der Disko hat, kippt den Champagner schon mal über die Köpfe der Underdogs.
Die Journalistin und Autorin Ingrid Müller-Münch hat im Auftrag des Theaters Bonn in Bad Godesberg und anderen Stadtteilen recherchiert und über 60 Personen (Schüler, Lehrer, Sozialarbeiter, Polizisten, Fußballtrainer, Geschäftsleute) zur Lage interviewt. Äußerer Anlass war eine Schlägerei zwischen Schülern eines Elitegymnasiums und Jugendlichen mit sogenanntem ‚Migrationshintergrund’ im Stadtpark 2007. Wie kommt es zu solchen Konflikten an einem Ort, der kein gewachsener Problemstadtteil ist und plötzlich mit einer neuen Bevölkerungsstruktur umgehen muss? Einwanderer aus muslimischen Ländern haben das Stadtbild verändert. Randalierende Jugendgangs verunsichern nicht nur das feine Bad Godesberg. Selbstverständlich gibt es viele Initiativen gegen Rassismus und Jugendgewalt. Doch die Ausgrenzung und Verachtung ist nicht einseitig, und die täglich erlebte Realität entspricht leider nicht immer den Wünschen von tüchtigen Integrationsbeauftragten.
Regisseur Heuel hat aus dem von Müller-Münch zusammengetragenen dokumentarischen Material einzelne Perspektiven herausgefiltert und markante Spannungsbögen über die etwas zähe Textmenge gebaut. Dennoch kreisen die vielen Monologe und szenischen Miniaturen in sich selbst. Die Schauspieler in den farblich fein abgestuften hellen Kostümen von Sigrid Trebing pendeln zwischen den Welten und machen aus dem authentischen Sprachmaterial eindrucksvolle individuelle Figurenstudien. Wobei sie ständig die Seiten wechseln. Rolf Mautz (gebürtiger Godesberger) z. B. ist mal der freundlich kritische Schulleiter, mal der empörte Ladenbesitzer, mal der auf einen guten Job hoffende junge Türke. Tatjana Pasztor spielt die rheinische Frohnatur und zeigt im nächsten Moment knallharte Aggressivität. Stefan Preiss ist mal der feinsinnige Abiturient und mal der verkrachte Hauptschüler. Bettina Marugg spielt mal die hysterische Zicke mit edlem Markentäschchen auf dem Kopf, mal die unterdrückte Kopftuchfrau. Zwischen Wut, verletztem Stolz und unüberwindlichen Vorurteilen entwickeln Philine Bührer, Konstantin Lindhorst sowie als Gäste Simin Soraya und Ismail Deniz (beide in Deutschland geboren und erfahrene Schauspiel-Profis) beklemmende Porträts aus der Kampfzone, in die sich als musikalisch virtuose Beatboxer die Schüler Malik Kpekpassi und Tim Wennemann einmischen.
Die Bühne von Annika Ley ist ein kühler, abstrakter Ort; nur ein paar kurze Videoprojektionen machen ihn als Bad Godesberg kenntlich. Zwei Welten zeigt keine körperlichen Brutalitäten, sondern spielt ironisch – oft sogar sehr komisch – mit den bekannten Klischees. Farbe bringen die acht Kinder ins Spiel (in drei verschiedenen Besetzungen sind insgesamt 24 Mitspieler zwischen 9 und 12 Jahren beteiligt, betreut von der Theaterpädagogin Marita Ragonese), die als Hoffnungsträger über die Bühne tollen, ihre Ängste und Träume auf einen Papierbogen malen und sich wie die Großen gelegentlich direkt ans Publikum wenden. Ihre Luftballons zerplatzen wie einige Illusionen, aber der bunte Glimmer vom Theaterhimmel muss nicht das Ende sein.
„Angewohnheiten zu ändern, ist es eh schon zu spät“ behaupten zwar unverdrossen die Medinghovener Rapper Radical Records, meinen das aber gar nicht so furchtbar ernst. Die heile eine Welt ist zwar eine Utopie, aber der Blick auf Zwei Welten könnte Erstarrungen in Bewegung bringen. Deshalb hat Oberbürgermeister Jürgen Nimptsch die Schirmherrschaft über die Produktion übernommen und empfiehlt aus guten Gründen deren Besuch.
Es gibt ein umfangreiches pädagogisches Begleitprogramm. Die von Ingrid Müller-Münch geführten Gespräche sind nachzulesen in ihrem Buch „Zwei Welten. Protokolle aus einer Stadt im Wandel“ (Emons-Verlag Köln, 160 S. 9,90 €).
Der Verein der Freunde der Kammerspiele hat dem Theater Bonn zu seinem 150. Geburtstag für theaterferne Jugendliche 150 Freikarten zum Besuch von „Zwei Welten“ gespendet. E.E.-K.


Aufführungsdauer: ca. 2½ Std., eine Pause
Im Programm bis: ????
Für Zuschauer ab 14 Jahren.

Freitag, 26.02.2010

Zurück

Merkliste

Veranstaltung

Momentan befinden sich keine Einträge in Ihrer Merkliste.


Letzte Aktualisierung: 25.04.2024 21:01 Uhr     © 2024 Theatergemeinde BONN | Bonner Talweg 10 | 53113 Bonn