Ein Volksfeind - kultur 78 - Oktober 2011

Ein Volksfeind von Henrik Ibsen in den Kammerspielen: Größenwahn mit Lagerfeuer

Vorweg: Henrik Ibsens 1883 im heutigen Oslo uraufgeführtes Drama Ein Volksfeind ist eine bittere Satire über Macht, Moral und wechselnde Mehrheiten im politischen Geschäft. Psychologischen Tiefgang wie in den bekannteren Werken des Norwegers sucht man hier vergebens, sympathische Figuren gibt’s auch nicht. Ibsens Text kommt durchaus vor in der Inszenierung von Lukas Langhoff, dessen Berliner Volksbühnen-Sozialisation hier Stilblüten-Früchte trägt. Es ist eine Art Castorf-Happening für die rheinische Provinz mit Bundesstadt-Ehrgeiz, mit dem die Schauspiel-Saison in den Kammerspielen eröffnet wurde.
Als Show-Master im Glitzeranzug macht Tomas Stockmann (exzellent verkörpert von Falilou Seck, was die Außenseiter-Position um eine Farbe bereichert) erst mal das Publikum an, bevor er als braver Familienvater und tüchtiger Badearzt zu Tisch bittet. Da muss dann das ganze Mediengesocks des einflussreichen, aber finanziell leider ziemlich maroden „Volksboten“ ständig aufstehen und seine Sätze ins Mikro röcheln, während Tomas zwischen Kühlschrank und Esstisch hin und her rennt und den teuren Rotwein entnervt im Rundschlag verteilt. Es gibt „Rinderbraten“, was Tomas’ zickige Gattin (schauerlich grotesk: Jele Brückner als Gast) nicht oft genug lustvoll betonen kann. Im grasgrünen Overall hält sie ihr Hinterteil gern dem Bürgermeister vors Gesicht. Der ist nicht nur ledig und konservativer Parteichef, sondern zur Konfliktverschärfung auch noch Tomas’ Bruder Peter Stockmann. Stefan Preiss gibt ihm die verstockte Härte des wohlmeinenden Stadtvaters, der den kleinen Küsten-Kurort zum Magneten für Gesundheitstouris­ten aufrüsten will.
Dummerweise hat der Doktor herausgefunden, dass das gepriesene Heilwasser durch Industrieabwässer verseucht und extrem gesundheitsschädlich ist. Der schmierige Redakteur Hovstad (Konstantin Lindhorst) wittert einen hübschen Skandal, der die Auflage seines Blattes hochtreiben könnte. Sein dümmlicher Mitarbeiter Billing (Nico Link) hat schon die Revolution und den Sturz der alten Machtclique im Sinn, sofern er überhaupt was denkt. Buchdrucker Aslaksen, ehrenamtlich Vorsitzender des Haus- und Grundbesitzervereins (Simon Brusis als Gast), scheint aus welchen Gründen auch immer aus Bayern in die WCCB-Stadt eingewandert zu sein und verbreitet zwischen Pützchens Markt und Millionenfallen, Wutbürgern und Gutmenschen ein bisschen Oktoberfest-Stimmung.
Bruderherz Peter zeigt Herz für die Steuerzahler, deren Jobs ebenso untergehen würden wie die Kommunalkasse, wenn das Gift im auf Schulden gebauten Kurhaus publik würde. „Hartz IV“ malt Tomas’ Gattin als Menetekel an die Wand (Bühne: Regina Fraas), bevor das unvermeidliche Wasser zu rieseln beginnt, die Zeichen wegwischt und ein paar Plantsch-Lustbarkeiten ermöglicht.
Des Doktors bebrilltes Töchterlein Petra mit gruseliger rotblonder Turmfrisur und grünem Outfit (Kostüme: Ines Burisch) stiefelt derweil mit der Klampfe herum und singt gern alte Arbeiterlieder. „Vorwärts und nicht vergessen: Die Solidarität“ schmettert sie gnadenlos in den Saal, wenn sie mal gerade nicht im rauen Lehrerinnen Kommando-Ton ihre Schäfchen aufs Jung-Pionier-Dasein vorbereitet. Für die pfiffige Theaterdebütantin und schrille Komödiantin Marleen Lohse hat Langhoff die kleine Rolle der Petra massiv hochgestuft.
Auf ein Denkmal hofft der aufklärerische Doktor, bevor ein monströser Riesengipsfuß vom Bühnenhimmel seinen Traum in die wirklichen Dimensionen zurückbringt: Ein Häuflein Elend in der Talsohle zwischen den Zehen des Monuments seiner heldenhaften Größe. Bumsfidel nimmt er seine Kündigung entgegen und redet sich am Sockel seiner Eitelkeit die Empörung über die Mehrheitsdemokratie und die Dummheit der konsumorientierten Masse von der Seele. Das ist gemeingefährlich und wird entsprechend abgestraft. Bevor Tomas’ Familie den geordneten Rückzug antritt, hat Schwiegervater Morten als Gummibärchen verkleidet schnell noch alle Aktien des Kurbetriebs billig aufgekauft. Vom potenziellen kapitalen Gewinn möchten natürlich alle was mitkriegen, die in einem skurrilen Aquarium gasmaskenbewehrt herumirren. Klar: Es stinkt nach Geld im netten Kurort. Da gibt’s nur noch eins: das elektrische Lagerfeuer anzünden, die Hammer- und Sichelflagge entstauben und ganz lieb antikapitalistisch die alte DDR-Romantik feiern.
Für albernheits-resistente Theaterfans recht lustig, ansonsten als saures Knallchargen-Bonbon verpufft. Das jüngere Premierenpublikum applaudierte munter, der Rest war betretenes Schweigen.

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Spieldauer ca. 2 Stunden keine Pause.
Die nächsten Termine:
6.10.11 // 9.10.11 // 22.10.11 //

Samstag, 04.02.2012

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