Sommer und Rauch - kultur 94 - März 2013

Sommer und Rauch von Tennessee Williams in den Kammerspielen: Ein kühler Hauch von Traurigkeit

Die Pastorentochter Alma Winemiller trägt nicht grundlos diesen Namen, der auf Spanisch „Seele“ bedeutet. Sie fürchtet sich vor dem seelenlosen Begehren des Körpers. Der junge Arzt John Buchanan wird es ihr ganz brutal klarmachen: Es gibt das Gehirn, das nach Erkenntnis, den Bauch, der nach Nahrung, und das Geschlecht, das nach Liebe hungert. Für eine Seele ist da kein Platz.
In der drückenden Schwüle der tristen Mississippi-Kleinstadt mit der stolzen Ortsbezeichnung „Glorious Hill“ stockt Alma manchmal der Atem. Dann hyperventiliert sie oder verfällt in ein nervöses Kichern. Nina Tomczak spielt beeindruckend genau diese sensible junge Frau, die dem Leben aus Fleisch und Blut nicht gewachsen ist, weil es ihrer Lebenssehnsucht nicht entspricht. Sie ist durchaus lebenstüchtig, keine graue Maus und kein zerbrechliches Geschöpf wie Laura in der Glasmenagerie, mit der Tennessee Williams 1944 berühmt wurde. Zwischen der Endstation Sehnsucht (1947) und der Katze auf dem heißen Blechdach (1955) fristete sein 1948 in New York uraufgeführtes Drama Sommer und Rauch eher ein Schattendasein. Dass es trotzdem kein schlechtes Stück ist, beweist die Inszenierung von David Mouchtar-Samorai in den Bonner Kammerspielen.
Transparente vertikale, ab und zu mit farbigen Projektionen überblendete Stoffstreifen gliedern das Bühnenbild von Heinz Hauser und gemahnen an die zum Himmel strebenden Säulen kirchlicher Architektur. Im Hintergrund breitet ein steinerner Brunnenengel seine Flügel aus. Marmorkühl wie die frigide Erscheinung der kunstsinnigen Alma, deren beseeltes Herz vor Liebe brennt.
Alma weiß sich zu beherrschen, seit sie den Haushalt ihres gottesfürchtigen Vaters übernehmen musste, weil ihre Mutter nach einem Nervenzusammenbruch unzurechnungsfähig wurde. Tanja von Oertzen spielt mit geradezu beängstigendem Mut dieses tyrannische alte Kind, das mit bösartiger Hellsichtigkeit Wunden aufreißt.
Almas nie verheilte Wunde heißt John Buchanan. Schon als Kind hat sie sich in den Nachbarssohn verliebt, der nun als promovierter Mediziner in der Praxis seines Vaters die Sau rauslässt. Arne Lenk spielt den versoffenen Melancholiker Buchanan Jr., der in seinen relativ seltenen nüchternen Momenten begreift, dass er Almas Ansprüchen nicht gewachsen ist. Ihre literarischen Gemeinde-Kulturabende, bei denen Birte Schrein als fette Schwatzdrossel Mrs. Bassett für komische Intermezzi sorgt, können auch kaum konkurrieren mit dem anrüchigen Moon-Lake-Casino von Hispano-Mafia-Boss Gonzales (Wolfgang Rüter), mit dessen reizender Tochter Rosa (Julia Hoffstaetter) John nach Südamerika durchbrennen möchte.
Es kommt anders, weil Alma zum Telefon greift und Buchanan Sr. aus dem internationalen ärztlichen Kampf gegen die spanische Grippe zurückbeordert zum Gefecht gegen das orgiastische Treiben im eigenen Haus. Der liberale alte Doktor Buchanan (wie Almas puritanisch moralpredigender Vater verkörpert von Bernd Braun) überlebt das nicht, weil die Pistolenkugeln ziemlich locker sitzen im feurigen Tex-Mex-Milieu.
Johns überraschende Katharsis nach diesem ‚Unfall‘ hat für Alma leider einen grausamen Widerhaken. Er wird ihre Schülerin, die naive junge Nellie (Julia Goldberg) heiraten, die nicht an der Kluft zwischen Sinn und Sinnlichkeit leidet. Für Alma bleiben Johns Beruhigungspillen. Beim steinernen Engel am Brunnen wird sie einen wildfremden Handlungsreisenden (Konstantin Lindhorst) aufgabeln und ein Taxi nehmen zum Moon-Lake-Casino. Als John sie einst in seinem Auto dorthin mitnahm, hat sie mit einem Taxi die Flucht ergriffen. Ihre romantische Doppelgängerin vom vergangenen Sommer ist nun tot. Die andere Alma hat ihre Seele verloren, obwohl sie die Wette mit John gewonnen hat, der ihr zugeben musste, dass das Immaterielle zur menschlichen Existenz gehört.
„Ein jeder Engel ist schrecklich“, heißt es in Rilkes erster Duineser Elegie. Ein wenig kalter Rauch ist geblieben von dem kranken Engel Alma, der mit gelähmten Flügeln im Abgrund verschwinden wird. Es herrscht Winter in „Glorious Hill“, wo selbst die Hitze wie schockgefrostet wirkte.
Mouchtar-Samorais Inszenierung taut die psychologische Tragödie vorsichtig auf, öffnet die Motivverknüpfungen und Symbolebenen. Eine Entdeckung, die entschieden eine Besichtigung wert ist. E.E.-K.

Spieldauer ca. 2 ½ Stunden inkl. einer Pause
Die nächsten Termine:
2.03. / 8.03. / 24.03. / 11.04. / 14.04. / 26.04.13

Dienstag, 01.10.2013

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