Othello - kultur 59 - Oktober 2009

Der weiße Mohr und der schwarze Denker - Othello in den Kammerspielen

Drei junge farbige Frauen umtänzeln den Helden und wischen ihm die schwarze Farbe aus dem Gesicht. Sie scheinen dem afrikanischen Soldaten durchaus zu gefallen. Der General Othello, der im Dienst Venedigs erfolgreich die Christen gegen die Türken anführt, scheint in der Welt der Weißen angekommen zu sein, was sich als fatales Missverständnis erweist. Weil ihm der schwarze Blick seiner Beobachter vollkommen fremd bleibt. Das unüberbrückbare Paradox der grundlos negativen Sicht- und Denkweisen liefert dem Regisseur Stefan Otteni das Gerüst für seine hoch intelligente Inszenierung von Shakespeares „schmerzlichstem Stück“ (Harold Bloom). Die grellen Lichteffekte der beweglichen Wände auf der rigoros jeden Realismus verweigernden Drehbühne (Bühnenbild: Peter Scior) sind dramaturgisch einleuchtend, aber für empfindliche Augen grenzwertig. Also exakt so, wie das Verhalten der verblendeten Akteure, die sich ihrer Sache so grausam sicher sind.
Die junge Senatorentochter Desdemona hat sich in den mächtigen Verteidiger ihrer Vaterstadt verknallt und dafür ihren leiblichen Vater Brabantio verlassen. Hals über Kopf hat sie den von ihr selbst zum Ideal hochstilisierten, erfahrenen Mann geheiratet, von dem sie sich zudem die Befriedigung ihrer sexuellen Neugier verspricht. Der durch seine Leistungen rein gewaschene Schwarze liebt die blonde, weiße Frau ehrlich, die zudem die goldene Krönung seiner weißen Existenz ist. Seine hemmungslose Lust aneinander stellt das Paar zum sanften Entsetzen der Anderen provokant zur Schau: Die beiden wollen gesehen werden in ihrer intimen Nähe, weil sie nur so ihre Illusionen als Wirklichkeit behaupten können.
Rafael Rubino als nicht gerade mit athletischer Traumfigur ausgestatteter Othello ist weniger das triebgesteuerte Tier, der romantische edle Wilde oder der politisch nützliche Haudegen fürs Grobe, sondern ein besonnener Kämpfer und gutgläubiger Menschenfreund. In der Dramaturgie seines ehrgeizigen Feindes Jago folglich eine Idealbesetzung für die Inszenierung eines Teufelsstücks. Der darstellerisch fabelhaft gute Yorck Dippe prügelt sich die Eifersucht (ein notorisch Weiber vernaschender Neger und eine von diversen Männern begehrte blonde Schönheit passen perfekt ins Klischee) regelrecht ins Hirn. Dass Othello den jungen Schnösel Cassio (neu im Bonner Schauspiel-Ensemble und als potentieller Lover Desdemonas etwas unterbelichtet: Nico Link) zum Leutnant befördert und dabei seinen vertrauten Fähnrich Jago übergangen hat, macht als Rachemotiv was her.
Reicht aber noch nicht für Jagos unbändigen Wirklichkeitsvernichtungswillen. Der weiße Mann muss beweisen, dass er immer Herr der Lage ist und jeden Zufall brillant in seine Strategie einbauen kann: „So könnte es gehen“. Gelegentlich setzt er sich zur Kontrolle seiner Bühnenintrigen ins Publikum. Die angeblich untreue Desdemona im Brautbett umzubringen, schlägt er seinem Herrn als finalen Liebesakt geradezu obszön vor. Und legt ihm die goldene, bis dahin wacklig auf einem zyprischen Pappmachée-Felsen thronende winzige Liebeslaube gleich noch per Gabelstapler direkt zum Angriff vor. Das monströse, dreckige Kind Othello macht sie ebenso zuverlässig kaputt wie sein kostbares Spielzeug Desdemona. Für den Menschen Othello zerbricht eine ganze Welt. Und ewig tröpfelt die eklig-ölige schwarze Farbquelle, von der fast alle ein paar dunkle Flecken abkriegen.
Nina V. Vodop’yanova zelebriert grandios Emilias Wut auf die Männerwelt, bevor sie sich ihrem Gatten Jago doch wieder an die herzlose Brust wirft. Philine Bührer spielt tapfer die Verwandlung der Desdemona vom naiv-selbstbewussten, verwöhnten Teenager in Jeans (Kostüme: Alexandre Corazzola) zur erwachsenen treuen Gefährtin, die alle Verwirrungen ihres Gatten widerspruchslos hinnimmt. Ihr todtrauriges Lied vor dem letzten Schlaf probt sie mit Hilfe eines alten Mannes auf Zypern (Paul Faßnacht, nach seinem kurzen Auftritt als empörter Papa als versoffener Pflastermaler ständig am Bühnenrand zugegen). Cassios schüchtern verschenkte Erdbeeren hat er schon aus purem Hunger gefuttert, bevor das berühmteste Taschentuch der Weltliteratur ins Spiel kommt. Mit Jungfrauenblut waren die magischen roten Erdbeeren gestickt, die Othellos schwarze Mutter ihrem nach Weiß verlangenden Sohn zum Abschied schenkte. Der Mann muss rot sehen, wenn dieser letzte Fetzen seiner ursprünglichen Identität entehrt wird.
Günter Alt macht als Herzog von Venedig gute Miene zu allen bösen Spielen. Oliver Chomik gibt unverdrossen den dummdreisten venezianischen Gentleman Rodrigo, der Jagos Launen finanziert, bis ihm als dessen Spielball die Luft ausgeht. Maria Munkert lässt sich als Cassios ‚Verhältnis’ Bianca (der Name spricht für sich) nicht so leicht aus dem Feld schlagen.
Dass der schmutzige Landstreicher als einziger die verzweifelte Desdemona zärtlich in die Arme nimmt, ist anrührend. Dass er an ihrer Leiche mit brüchiger Stimme das alte Soldatenlied „Ich hatt’ einen Kameraden“ singt, grenzt ans Peinliche. Scharfe Kontraste muss man bei dieser blendenden, zweifellos sehenswerten Inszenierung aushalten.
E.E.-K.
Das Theater Bonn warnt Epileptiker vor möglicherweise irritierenden Lichtblitzen.

Aufführungsdauer: ca. 3¼ Std., eine Pause
Im Programm bis: ???
Nächste Vorstellungen: 1.10./10.10./25.10./31.10.

Dienstag, 02.02.2010

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