A Midsummer Night's Dream - kultur 29 - September 2006

Der helle Wahnsinn der Gefühle - A Midsummer Night's Dream von Benjamin Britten in der Oper

Dieses Theater ist ein Ort der versunkenen Träume. Mit schillerndem Vorhang und schmaler Bühne dreht es sich sanft zwischen den Ruinen eines Palastes, den die Wüste schon halb zurückerobert hat, kokettiert mit einem längst zu Boden gefallenen, aber immer noch funkelnden Kronleuchter, prunkt unverschämt zwischen Kinderspielzeug und Maskenplunder und lässt sich anstrahlen vom Mondlicht, das in feinen Streifen durch die Reste der Balkendecke scheint. Dieses scheinbar tote Theater ist selbst ein höchst lebendiger Akteur in der wunderbar artifiziellen Inszenierung von Benjamin Brittens 1960 uraufgeführter Oper
A Midsummer Night's Dream, mit der der rumänische Star-Regisseur Silviu Purcarete kurz vor der Sommerpause dem Theater Bonn noch mal ein Glanzlicht aufgesetzt hat.
Britten überspringt in seinem dreiaktigen Werk die menschliche Vorgeschichte der Liebesverwirrungen aus Shakespeares Komödie Ein Sommernachtstraum und lässt sofort die Zauberwelt der Feen und Geister erscheinen, die Helmut Stürmer (opulentes Bühnenbild und raffinierte Kostüme) und Klaus Richter (wunderbar differenziertes Licht) zum wahren Augenschmaus machen. Die flirrenden, vielfarbigen Klänge dazu liefert das Beethovenorchester Bonn, das unter der Leitung von Wolfgang Lischke mit hinterhältiger Ironie all die Verrücktheiten dieser sinnverwirrenden Sommernacht subtil kommentiert.
Zwischen Elfenkönig Oberon und seiner Gattin Titania herrscht dicke Luft, weil letztere sich etwas zu intensiv ihrem neuesten Spielzeug widmet, einem schönen indischen Knaben, auf den auch ihr Gemahl ein Auge geworfen hat. Kostümiert mit aller barocken Pracht - er in schimmerndem Nachtblau, sie feuerrot glitzernd mit turmhoher weißer Perücke und blankem (Kunst-)Busen - verkörpern sie die schöne alte Opernwelt. Der junge argentinische Countertenor Franco Fagioli - bei der Wiederaufnahme im September übernimmt der international renommierte Terry Wey die Partie - singt mit ätherisch feiner Stimme einen zwischen den Geschlechtern schillernden Oberon. Sigrún Pálmadóttir ist mit sinnlich leuchtendem Sopran die selbstbewusste weibliche Erotik schlechthin. Genau auf die hat es Oberon abgesehen, wenn er seinen Diener Puck nach der Wunderblume ausschickt, deren Saft jedes Auge so verblendet, dass der nächste Blick auf das erstbeste Wesen ein hemmungsloses Liebesbegehren weckt. Der mürrische Puck (bei Britten eine Sprechrolle und in Bonn herrlich skurril als altes Faktotum gespielt von Wolfgang Rüter) hat die Eskapaden seines Herrn reichlich satt und macht seinen Job mehr schlecht als recht nach Vorschrift. Dass dabei vier in den Elfenwald verirrte paarungswillige junge Städter was abkriegen, ist eher ein Kollateralschaden beim von Oberon befohlenen Sturmangriff auf Titania. Was zum Teufel hat dieses liebesnärrische Quartett im modernen Outfit schließlich zu suchen im Elfenreich? Hermia (Anjara I. Bartz) soll Demetrius (Aris Argiris) heiraten, wogegen der eigentlich nichts hat, sie aber eine ganze Menge, weil sie den braven Lysander (Donát Havár) vorzieht, der ihr auf der Flucht vor dem strengen Elternhaus die Koffer hinterherschleppt. Die schöne Helena (Irina Oknina) hockt wie ein Klammeräffchen auf dem Rücken ihres heiß begehrten Demetrius, obwohl der doch nur Augen für Hermia hat. Was sich schnell ändert, weil Oberon Mitleid hat mit den aus der Gegenwart in seine alte Theaterwelt verrutschten erotischen Blindgängern und Puck mit dem Zaubersaft nicht gerade vorsichtig umgeht. Zuzutrauen wär's ihm, dass er aus lauter Jux und Langeweile immer die Falschen erwischt, um selbst mal Regisseur zu spielen. Zumal er ja Shakespeare auf seiner Seite hat, der die verwirrten Menschenpaare am Morgen wieder zur Vernunft kommen lässt, auch wenn aus ihrem Sommernachts-Albtraum ein giftiger kleiner Stachel übrig bleibt. Am Ende dürfen sie Publikum spielen beim Hochzeitsfest des mythologisch nicht gerade unvorbelasteten Athener Herzogs Theseus (Andrej Telegin) und der Amazonenkönigin Hippolyta (Vera Baniewicz) - den irdischen Spiegelfiguren der Geisterfürsten in elegantem Schwarz.
Die Laienschar der Handwerker macht dabei mit solcher Hingabe Theater, als ob's ums eigene Leben ginge. Bei allen derb komischen Tönen behalten ihre berühmten Szenen eine merkwürdig anrührende traumtänzerische Leichtigkeit. Mark Rosenthal hat als Flute in der tragischen Rolle der Thisbe im damenhaften Kostüm mit engem kurzen Rock einen herrlich grotesken Auftritt. Martin Tzonev gibt umwerfend witzig den kunstbeflissenen Nick Bottom, der bekanntlich am liebsten alles selbst spielen möchte, vom launischen Puck während der Probe in einen blökenden Esel verwandelt wird und in dieser unfreiwilligen Rolle Titanias zärtliches Verlangen weckt. Das ganze Elfenvolk spielt ungerührt mit bei dieser grausam komischen Rache seines eifersüchtigen Herrn an der naturhaften weiblichen Sinnlichkeit. Der Kinder- und Jugendchor der Oper Bonn unter der Leitung von Florian Pestell und Peter Davies bewältigt nicht nur seine anspruchsvolle musikalische Aufgabe exzellent, sondern schwirrt auch spielerisch hinreißend durch die Szenerie - obwohl die zarten Elfen mit ihren kahlen Köpfchen, Masken und weißlichen Gewändern eher aussehen wie aus dem Wüstensand gekrochene Insektenlarven. Sie sind trotz ihres engelhaft reinen Gesangs teuflische kleine Naturwesen in der Kunstwelt der dunklen Gefühle und des hellen Wahnsinns. Also des Theaters, das sich in diesem Sommernachtstraum ständig selbst reflektiert und sich dabei einen Operntraum leistet mit vielschichtigen surrealen Bildern, einem fabelhaft guten Gesangsensemble und betörend schöner Musik, in deren selig sanftem Strom die Zeit aufgehoben zu sein scheint.
Wunschlos glücklich reagierte entsprechend das Premierenpublikum.
E.E.-K.

Aufführungsdauer: ca. 3 Std. mit Pause
Im Programm bis: 9.03.07

Dienstag, 23.01.2007

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