Hein, Christoph: Landnahme

aus kultur Nr. 9 - 7/2004

Die Kriegskindergeneration ist im Ruhestand, die eigenen Kinder sind aus dem Haus, jetzt kommen mit dem Stillewerden die Erinnerungen hoch, der Blick in die Vergangenheit vertieft sich, und oft werden plötzlich unverarbeitete Kindheitserlebnisse wach.
Endlich kann man reden über das, was einem damals geschah, im Krieg, der für die Enkel-Generation Vergangenheit, Geschichte bedeutet, der aber für einen selbst ein Stück Leben ist, vorbei und vielleicht verdrängt, aber nicht vergessen. So muss es doch sein, wenn mit einem Mal so viele Bücher geschrieben und verlegt werden, die sich mit diesem Thema beschäftigen - mehr als 60 Jahre danach.
Auch Christoph Heins „Landnahme" gehört dazu, wenn auch der renommierte Autor seine (?) Geschichte als Roman aufbereitet hat. Sein Protagonist Bernhard kommt erst 1950 als Umsiedler mit seinen Eltern aus Schlesien in eine sächsische Kleinstadt. Er ist 10 Jahre alt und stark. Das ist wichtig, denn so verschafft er sich gleich zu Beginn seiner Schulzeit Respekt - er schlägt zu, als man ihn hänselt... Sein Vater ist Tischler, aber er hat nur einen Arm, ist trotzdem geschickt und fleißig und schafft es trotzdem nicht: Die Einheimischen wollen nicht bei einem Fremden bestellen, man ist und bleibt lieber unter sich. Die Flüchtlinge sollen gehen, dorthin, wo sie herkamen, sie sind ganz und gar nicht erwünscht.
Fast 50 Jahre dauert es, bis Bernhard, der auch Tischler wurde wie sein Vater, der aber sein beträchtliches Vermögen ganz anders verdient, der niemals viel geredet hat, bis er sich integriert und durchgesetzt hat. Bis er, längst Familienvater, zu der Handvoll Männer gehört, die die Fäden ziehen in der kleinen Stadt, die nur ein Spiegel der großen Außenwelt ist.
50 Jahre Geschichte erzählt Hein in diesem Buch, Geschichte der DDR und der spannenden Jahre nach der Wende, aufgezeigt am Schicksal eines Mannes, der als Flüchtlingskind, als Vertriebener, als Heimatloser nach neuen Wurzeln sucht, beispielhaft für Millionen dieser Generation, die heute im Ruhestand ist und Vergangenheit aufzuarbeiten versucht - viele, indem sie schreiben, andere, indem sie „nur" lesen und sich wiederfinden, auch z.B. in dem schweigsamen, aber erfolgreichen Bernhard Haber.

Christoph Hein:
Landnahme,
Suhrkamp Verlag KG,
360 S., 19,90 €.

Mittwoch, 05.01.2011

Zurück

Merkliste

Veranstaltung

Momentan befinden sich keine Einträge in Ihrer Merkliste.


Letzte Aktualisierung: 26.04.2024 17:01 Uhr     © 2024 Theatergemeinde BONN | Bonner Talweg 10 | 53113 Bonn