Stefan Preiss - kultur 48 - 6/2008

Elisabeth Einecke-Klövekorn trifft Stefan Preiss - Pastor Parris, Anwalt Alain und der Kugelfisch

Alain Reille ist die Person, die den Satz ausspricht, der den Titel des Stückes enthält: „Ich glaube an den Gott des Gemetzels.“ Stefan Preiss spielt den arrivierten Anwalt Alain in Yasmina Rezas Erfolgsdrama Der Gott des Gemetzels, das seit Ende April in der Halle Beuel zu sehen ist (s. Kritik S. 4). „Ich habe ungewöhnlich viel Echo vom Publikum und von Kollegen zu dieser Inszenierung bekommen“, erzählt Stefan Preiss. „Dabei stellt das Stück eigentlich keine Fragen. Es ist im Grunde eine Oberfläche, eine pure Abbildung, allerdings eine sehr genaue. Die vier Figuren kommen einem sofort bekannt vor. Sie verkörpern so etwas wie unterschiedliche Grundtemperamente, wie sie fast archetypisch in unserer modernen Gesellschaft zu finden sind. Der erfolgreiche Jurist berauscht sich an der Macht und genießt die ständigen Adrenalinschübe. Die Lust an der Auseinandersetzung treibt ihn dazu, nicht aus dem Spiel auszusteigen.“
In der Halle Beuel spielt Preiss derzeit auch den Pastor Parris in Hexenjagd von Arthur Miller. „Es war nicht einfach, die menschlichen Seiten bei dieser eher eindimensional geschriebenen Rolle herauszuarbeiten. Parris ist ein Seelenhirte, der versagt und zum Täter wird. Er hat Angst, predigt den Schrecken und ist seiner Verantwortung nicht gewachsen.“ Sehr begeistert ist Preiss von der Zusammenarbeit mit dem Regisseur Michael Helle: „Bei ihm herrscht eine konzentrierte Entspanntheit bei höchster Genauigkeit:“ Unter Helles Regie spielte er in dieser Saison bereits den reichen Bürger Gremio in der sehr erfolgreichen Werkstatt-Inszenierung von Shakespeares Zähmung der Widerspenstigen. Vor zehn Jahren hat Preiss das Stück in Erlangen übrigens selbst inszeniert. Denn neben der Arbeit als Darsteller (gelegentlich auch im Fernsehen, u. a. bei mehreren „Tatorten“) gehört die Regie zu seinen regelmäßigen Tätigkeitsfeldern.
Seine ersten Theater-Erfahrungen sammelte Preiss, der 1955 in Auerbach/Vogtland geboren wurde, in Pforzheim, wo er aufwuchs. Die Titelrolle in dem von einer kirchlichen Laiengruppe einstudierten Märchen Rumpelstilzchen war sein erster großer Bühnenerfolg. Weitere Auftritte in schulischen und freien Theatergruppen folgten. Außerdem arbeitete er am Stadttheater Pforzheim als Statist, was möglicherweise auch ein Grund dafür war, dass er sich nach dem Abitur reiflich überlegte, ob er tatsächlich eine professionelle Theaterlaufbahn beginnen sollte. Nach zwei Jahren zwischen diversen Jobs und der freien Szene begann er sein Schauspielstudium in Frankfurt am Main und wechselte bald an die Staatliche Hochschule für Musik und Darstellende Kunst in Stuttgart, wo er ebenfalls schon so erfolgreich vorgesprochen hatte, dass er dort gleich einen der äußerst raren Ausbildungsplätze bekam. Zu seinen Kommilitoninnen gehörten übrigens – wenn auch beide nicht in derselben Klasse – seine späteren Bonner Ensemble-Kolleginnen Anke Zillich und Tatjana Pasztor.
Nach dem Diplom folgte das erste feste Engagement in Lübeck, wo er drei Jahre lang blieb und etliche große Rollen spielte. Danach arbeitete er einige Zeit als freier Schauspieler, weil er möglichst viele Formen abseits vom Stadttheater ausprobieren wollte. Er spielte u.a. bei einem renommierten Tourneetheater, am Landestheater Neuss und landete 1983 für ein kurzes Intermezzo in Bonn am Kleinen Theater Bad Godesberg. In einer Inszenierung von Karl Heinz Stroux spielte er in Nathan der Weise an der Seite von Walter Ullrich in der Titelrolle den Klosterbruder.
Fest engagiert war er dann wieder zwei Jahre lang am Kinder- und Jugendtheater in Essen - „eine interessante und wichtige Erfahrung“. Der komische „Kugelfisch“ in der soeben nach vielen ausverkauften Vorstellungen abgesetzten Kleinen Meerjungfrau in den Kammerspielen hat ihm also großen Spaß gemacht. Obwohl er ‚Zielgruppentheater’ eigentlich nicht mag: „Das Theater soll die Gesellschaft nicht nach Alter, Herkunft oder Bildungsniveau spalten. ‚Spezielles’ wie der Club der Utopisten oder die Lesung ‚Herbst 77’ im Bundeskanzleramt müssen aber möglich sein.“
Das ‚Spezielle’ war der Grund, weshalb er von 1988 bis 1999 am Schlosstheater Moers blieb, Deutschlands kleinstem Stadttheater. Die Jahre unter der Intendanz seines ehemaligen Stuttgarter Studienkollegen Rupert Seidl zählt Stefan Preiss zu seinen kreativsten. „Wir haben viel diskutiert, gestritten, gefeiert und wie verrückt gearbeitet.“ Zu seinen Lieblingsrollen in Moers gehörten Clov in Becketts Endspiel, Rülp in Shakespeares Was ihr wollt, Valmont in Heiner Müllers Quartett und wichtige Figuren in drei Stücken von Thomas Bernhard, sowie das groteske Duo mit Seidl in Frank und Stein von Ken Campbell, das zehn Jahre lang in über 250 ausverkauften Vorstellungen lief. Seine erste Regie in Moers war 1990 Gilgi, eine von uns nach dem ersten Roman von Irmgard Keun. 1997 bürstete er mit Riesenerfolg die Komödie Ingeborg von Curt Goetz auf der Suche nach den Katastrophen hinter den Figuren in einer Maschinenhalle gegen den Strich. Mit der Regie von Büchners Leonce und Lena verabschiedete Preiss sich aus Moers. Klaus Weise holte ihn als Gast in seiner Inszenierung von Shakespeares Wintermährchen nach Oberhausen und schließlich nach Bonn. Als Monsieur Loyal in Molieres Tartuffe stellte Preiss sich dem Bonner Publikum vor, spielte danach u.a. Philipp den Guten in Schillers Jungfrau von Orléans, den Marineoffizier Jan voor den Dag in Woudstras Würgeengel, den Apotheker Toto in Pirandellos Der Mensch, das Tier und die Tugend, den Doktor Leschtsch in Gorkis Die Letzten, den Präsidenten von Walter in Schillers Kabale und Liebe und den Jeronimus in Kleists Familie Schroffenstein in der Regie von Ingo Berk, den er wegen seiner intellektuellen und ästhetischen Sorgfalt besonders schätzt. Sehr reizvoll fand er auch seine Ausflüge ins Musiktheater, wo er in der Operette Die Herzogin von Chicago als Mr. Lloyd und in Brittens Midsummer Night’s Dream als Puck auftrat.
2007 hat er sich als Schauspieler eine Auszeit genommen, um in Gera selbst wieder Regie führen zu können bei der deutschsprachigen Erstaufführung von Les Demoiselles d’Avignon des spanischen Autors Jaime Salom. Es geht um die Entstehung von Picassos Meisterwerk und die Geschichten der sechs abgebildeten jungen Frauen. Demnächst wird Preiss kurz zu sehen sein in dem Film Das Gelübde über den Dichter Clemens Brentano (30. Mai beim Fernsehsender Arte, Regie Dominik Graf). Als Auktionator, der Brentanos Bücher versteigert.
Als Schauspieler und Regisseur sieht er im alltäglichen Scheitern des Menschen – „denn was ist Existenz anderes als Scheitern?“ – das Komische, das absolut nicht immer lustig sein muss, aber doch tröstlich. Das interessiert ihn an Theaterfiguren. Wahrscheinlich nimmt er sie hinter seiner Brille so gnadenlos lächelnd ins Kreuzverhör wie Alain. Weil auf der Bühne immer was Verstecktes ans Licht kommen muss.

Donnerstag, 08.12.2011

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