Horst Johanning - kultur 21 - November 2005

Elisabeth Einecke-Klövekorn trifft Horst Johanning - Direktor des Contra-Kreis-Theaters und der Philip im ”Sextett”

Er bleibt ganz ruhig, obwohl an diesem sonnigen Frühherbstnachmittag nicht alles im Lot ist. Ein Schauspieler hat sich bei der Aufführung von "Sextett" am Abend zuvor verletzt, war gerade beim Arzt und bekommt jetzt von seinem Regisseur Horst Johanning am Telefon noch ein paar gute Ratschläge und herzliche Besserungswünsche. „Sowas ist natürlich der Angsttraum jedes Theaterdirektors. Aber die Vorstellung heute ist wohl gerettet. Wir müssen uns nur schon etwas früher treffen und ein paar Änderungen einbauen.“ Ein solch versierter Theatermann wie Johanning wird das schon in den Griff kriegen, obwohl er im "Sextett" ja nicht nur Regie führt, sondern auch selbst mitspielt: Als erfolgreicher englischer Dramatiker Philip, der auf einer turbulenten Kreuzfahrt im Mittelmeer vergnügt die Fäden in der Hand behält - und manchmal auch mutwillig noch ein bisschen mehr verknotet. Eigentlich war er als Darsteller gar nicht eingeplant, aber ein Kollege fiel aus, eine neue Besetzung war nicht so schnell zu finden… Außerdem kennt er das Stück sehr gut, schließlich hat er schon bei der deutschsprachigen Erstaufführung 1979 im Contra-Kreis Regie geführt; diese Produktion wurde danach auch in Berlin ein Riesenerfolg. In Bonn spielte Karl Heinz Fiege den Philip, in Berlin übernahm Wolfgang Spier die Rolle, der das Stück auch übersetzt hat.
„Klar“, sagt Johanning, „ist das nicht ganz einfach, in einer eigenen Inszenierung auch zu spielen; ich sehe ja nicht alles, was auf der Bühne passiert. Ich muss da öfter mal etwas ausprobieren und mache auch mit mir selbst Kritik. Wahrscheinlich sogar mehr als mit den Kollegen, gegenüber denen ich ja diesmal besonders vorsichtig sein muss.“ Jeden Tag auf der Bühne zu stehen, findet er im Moment nicht einmal sonderlich anstrengend: „Weil's einfach Spaß macht. Man bekommt in unserem Theater, wo man ganz dicht an den Zuschauern ist, die Reaktionen viel schneller als bei großen Guckkastenbühnen. Trotzdem gibt es leise oder euphorische Abende; das Publikum ist ja jedes Mal anders. Gestern Abend war ich allerdings wirklich irritiert, weil aus einer Ecke dauernd ein seltsames Getuschel kam. Es hat eine Weile gedauert, bis wir merkten, dass dort eine Gruppe Japaner saß und einer versuchte, den anderen wenigstens rudimentär die Handlung zu erklären.“
Seit 1989 ist er nicht mehr als Schauspieler aufgetreten; zuletzt zu sehen war er auf der Contra-Kreis-Bühne in der Uraufführung “Schöne Familie“ von Pierre Chesnot - unter der Regie von Horst Johanning. Dass das Inszenieren einmal sein Haupt-Metier und dass er Intendant würde, hatte sich der junge Schauspieler nicht erträumt, als er 1966 zum ersten Mal in Bonn auftrat - in dem Stück “Ein Musterknabe“ von Luis Penafiel. Nach dem Abitur in Herzberg/Harz, wo er 1942 geboren wurde, begann Johanning zunächst in Göttingen und an der F.U. Berlin ein Studium der Philosophie und Theaterwissenschaft, wechselte aber bald an die Hochschule für Musik und Theater in Hannover, wo er 1965 seine Schauspielausbildung abschloss. Danach arbeitete er als freier Schauspieler in Hannover, Hamburg, Köln und Bonn und war schon als Oberspielleiter am Stadttheater Ulm vorgesehen, entschied sich dann jedoch gegen eine solche feste Bindung an ein Haus. Inzwischen hat er in fast allen deutschen Großstädten Regie geführt: Ob in Berlin, Düsseldorf, Hamburg, Köln oder München, auch in Wien und Zürich - überall, wo es renommierte Boulevardtheater gibt, waren und sind auch Produktionen von Horst Johanning zu sehen. Er inszeniert “überall da, wo man deutsch spricht“, steht in seiner Kurzbiografie. Das ist keine Koketterie, denn „Boulevardkomödien funktionieren tatsächlich nur in der vertrauten Sprachumgebung - allein schon wegen des notwendigen Tempos.“
Wie oft er insgesamt inszeniert hat? „Bei 200 Regiearbeiten habe ich aufgehört zu zählen, aber das ist schon eine ganze Weile her“, sagt er schmunzelnd;„solche Zahlen und Jubiläen interessieren mich nicht sonderlich. Selbst das 50jährige Bestehen unseres Theaters haben wir gar nicht groß gefeiert.“ Wie viele Werke englischer Autoren er selbst übersetzt hat, weiß er auch nicht mehr. Früher fuhr er oft nach London, um sich neue Stücke anzuschauen und Kontakte zu Autoren und Verlagen zu knüpfen. „Heute kennt man sich und bekommt eine Menge Angebote direkt. Ich bin auch gar nicht unglücklich, wenn ich dank der modernen Kommunikationstechnik viele Texte elektronisch erhalte, weil ich die dann gleich am Computer bearbeiten kann.“ Eine neue Uraufführung ist schon geplant, am Text arbeitet er gerade gemeinsam mit den Autoren.
Kurt Hoffmann, der den Contra-Kreis in den 50er Jahren zu einem höchst angesehenen Ort für zeitgenössisches, anspruchsvolles Theater machte, hat er leider nicht mehr selbst kennen gelernt. Er erinnert sich aber noch gut daran, wie der berühmte Oscar Fritz Schuh, dem er von einem möglichen Engagement in Bonn erzählte, gleich sagte: „Wenn Bonn, dann hoffentlich Hoffmann“. Der Contra-Kreis residierte damals noch in einem Hinterhofkeller, wo er dem neuen Stadthaus weichen musste - „Nur die alte Kastanie steht noch, an der man vorbei musste, um den Eingang zu finden“ - und in den Räumen neben der Universität sein heutiges Domizil fand.
Hoffmanns Tochter Katinka war der eigentliche Grund, warum Johanning endgültig in Bonn blieb. 1980 wurde er Geschäftsführer und Mitinhaber der Contra-Kreis-Theater GmbH und übernahm gemeinsam mit der beliebten Schauspielerin Katinka Hoffmann die künstlerische Leitung. Im selben Jahr wurde die Tochter Jessica geboren, die inzwischen in Berlin Theaterwissenschaften und Geschichte studiert und nebenbei auch schon viele Erfahrungen als Praktikantin an großen Häusern gesammelt hat, z.B. als Regiehospitantin an der New Yorker Metropolitan Opera bei Jürgen Flimms “Salomé“-Inszenierung. Geheiratet haben Katinka Hoffmann und Horst Johanning nicht: „Eine 35 Jahre währende Beziehung - das ist doch mindestens so viel wert wie ein Trauschein.“
Für Film und Fernsehen hat Johanning nebenbei auch noch viel gearbeitet. 1985 wurde die Contra-Kreis-Produktion gegründet mit dem legendären Flagschiff “Bonnfetti“ und dem Moderator Geert Müller-Gerbes. Johanning ist auch Mitbegründer der Veranstaltergemeinschaft “Landesweites Fernsehen in NRW“, die regelmäßig Kultursendungen bei RTL und SAT.1 ausstrahlte. Seit 2001 ist er außerdem Vize-Präsident des Deutschen Bühnenvereins und Vorsitzender der Privattheatergruppe. In diesen Funktionen ist er viel unterwegs, kennt die schwierige Situation in der deutschen Theaterlandschaft wie kaum ein anderer, engagiert sich gegen Schließungen und schlägt sich mit dem Tarifdschungel und der Gesetzgebung herum.
Katastrophenerprobt ist er ohnehin. „Als mal morgens um 6 Uhr die Putzfrau anrief und sagte: ‚Das Theater steht unter Wasser', wurde mir ziemlich mulmig. In einem Uni-Keller gab's einen Rohrbruch, und bei uns spritzte das Wasser durchs Schüsselloch einer Stahltür wie aus einer Feuerwehrdüse. Die Bühne war schon bis zum Rand vollgelaufen, haufenweise Akten und Requisiten waren vernichtet. Aber abends haben wir gespielt.“ Also: Ein Espresso noch, aber dann muss Horst Johanning wieder ins Theater, damit auch heute nichts schief geht.

Dienstag, 25.02.2014

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