Heribert Beissel - kultur 60 - November 2009

Elisabeth Einecke-Klövekorn trifft Heribert Beissel – 50 Jahre Klassische Philharmonie Bonn

Am 3. Oktober Bremen, am 4. Hamburg, am 6. Wiesbaden, am 8. Stuttgart, am 10. Bielefeld, am 11. Berlin…, für Professor Heribert Beissel ist das durchaus normal. Mit seiner Reihe Wiener Klassik ist er außer in Bonn regelmäßig in zehn deutschen Städten zu Gast – immer in großen renommierten Konzerthäusern, die meistens schon lange im Voraus ausverkauft sind. Am 9. Oktober feiert er in der Bonner Beethovenhalle das 50. Jubiläum seiner Klassischen Philharmonie Bonn. Zwei Tage zuvor findet er ganz entspannt Zeit für ein Gespräch in dessen Geschäftsstelle am Belderberg. Hier laufen bei seinem kleinen, hoch engagierten Mitarbeiterstab alle Fäden für die Programm- und Tourneekonzeptionen zusammen.
Geplant wird langfristig, denn das Orchester hat keine fest angestellten Musiker und tritt in unterschiedlich großen Besetzungen auf – maximal ca. 60 Mitglieder. „Wir haben nach englischem Vorbild einen großen Pool von professionellen Künstlern, mit denen wir Projektverträge abschließen. Es gibt einen Stamm, der sehr oft dabei ist. Meistens kommen junge Instrumentalisten hinzu, die frischen Wind mitbringen; in der Regel sind mehr als zehn Nationen im Orchester vertreten.“
Bei seinen jungen Solisten gerät Beissel regelrecht ins Schwärmen: „Wir entdecken sie bei Wettbewerben, fragen bei Hochschulen und Kollegen nach und haben uns ein umfangreiches Netzwerk für Empfehlungen aufgebaut. Außerdem könnten wir schon mit den direkten Bewerbungen ganze Koffer füllen. Die Förderung junger Talente gehört zu unseren satzungsgemäßen Aufgaben. Als ‚Internationale Orchesterakademie’ sind wir weit über die Grenzen Deutschland hinaus bekannt und haben vielen begabten Nachwuchsmusikern zu Karrieresprüngen verholfen. Für junge Leute sind gerade unsere Reisen ein tolles Erlebnis. Man ist da ja wie in einer großen Familie ständig zusammen, kann von den Erfahrungen der Älteren profitieren, hockt aber wegen der wechselnden Zusammensetzungen auch nicht so eng aufeinander, dass es zu Abrieb-Erscheinungen kommt.“ Eine Menge psychologisches Geschick ist bei der Orchesterleitung ohnehin gefragt. Wobei die Klassische Philharmonie bei weitem nicht der einzige Klangkörper ist, den Heribert Beissel pflegt.
Geboren wurde er 1933 in Wesel und wuchs in der Nähe von Moers am Niederrhein auf. Beide Eltern waren Pädagogen; die Leidenschaft für die Musik erbte er von seiner Mutter, die selbst Geige spielte. Beissel studierte an der Hochschule für Musik in Köln u. a. bei Günter Wand (Dirigieren), bei Frank Martin (Komposition) und daneben im Hauptfach Klavier, im Nebenfach Violine. Seine berufliche Laufbahn begann er als Erster Kapellmeister an der damals noch im Bürgerverein residierenden Bonner Oper und gleichzeitig als gefragter Liedbegleiter im In- und Ausland. 1958 gründete er das „Chur-Cölnische Instrumentalensemble“ (benannt nach der kurfürstlichen Tradition in der Residenzstadt Bonn), bestehend aus etwa 25 Studenten, fähigen Amateuren und Berufsmusikern. Die ersten Auftritte fanden im Theatersaal der Universität (heute Hörsaal 1) statt. Am 4. Oktober 1959 gab das neue Ensemble, das seit 1986 als Klassische Philharmonie Bonn firmiert und als Botschafter der Musikstadt rund um den Globus fungiert, in der knapp einen Monat zuvor eingeweihten Beethovenhalle seinen offiziellen Einstand mit einem Mozartprogramm. Das total ausverkaufte Haus war überwiegend gefüllt mit begeisterten Schülern und Studenten. Berühmte Solisten wie z.B. die Pianistin Elly Ney gaben sich bei dem Orchester, das sich schnell einen exzellenten Ruf erobert hatte, bald quasi die Klinke in die Hand.
Mit Serenadenkonzerten auf der Terrasse der Bad Godesberger Stadthalle, im Beethovensaal der Redoute und im Bonner Hofgarten gewann das Orchester ein Publikum aus allen Generationen.1963 begann die Reihe der bis heute außerordentlich beliebten Poppelsdorfer Schlosskonzerte. „Das sollten von Anfang an keine populären Open-Air-Sommerkonzerte im engeren Sinn sein, sondern anspruchsvolle Musikerlebnisse in einem reizvollen Ambiente. An den Autokennzeichen kann man’s sehen: Die Leute kommen dafür aus der ganzen Region von Aachen bis Dortmund.“ Von 1965 bis 1994 bestritt Beissels Orchester weit über 200 Konzerte im Rheinischen Landesmuseum Bonn; auch die Drachenburg wurde mit Klängen gefüllt. 1993 begannen die sonntäglichen Matineekonzerte in der Kleinen Beethovenhalle Muffendorf, einem historischen Saal aus der Kaiserzeit. Kürzlich sind die auf Anhieb erfolgreichen kulinarischen Abende auf dem Petersberg hinzugekommen.
1968 gründete Beissel neben seinem bestens etablierten Instrumental­ensemble den Chur Cölnischen Chor Bonn. Dieses Vokalensemble – „unsere Proben dauern immer drei Stunden, außerdem treffen wir uns regelmäßig zu intensiven Arbeits-Wochenenden in der Region, wo möglichst nichts vom sängerischen Training ablenkt“ – räumte viele internationale Preise ab und gastierte A-Capella oder mit der jeweils nötigen Instrumentalunterstützung auf allen Kontinenten.
Zwischendurch war Beissel neben seiner Bonner Tätigkeit vierzehn Jahre lang Chefdirigent der Hamburger Symphoniker. Von 1979 bis 1984 leitete er das Folkwang-Kammerorchester in Essen. Nach der deutschen Wiedervereinigung engagierte er sich sofort in den neuen Bundesländern. Zumal er kommunalpolitisch ziemlich erfahren und entsprechend furchtlos ist, über Orchesterschließungen oder unsinnige Klangkörper-Zwangsehen gern in produktive Rage gerät und bei der Verteidigung musikalischer Qualität kein Blatt vor den Mund nimmt. Von 1991 bis 1999 war er Generalmusikdirektor in Halle, setzte mit dem ehemaligen Bonner Stadtkämmerer und späteren Hallenser Oberbürgermeister Dr. Klaus Rauen den Bau der Händel-Halle durch, machte das städtische Orchester zu einem Staatsorchester und gründete das Landesjugendorchester Sachsen-Anhalt, dessen künstlerischer Leiter er voller Begeisterung immer noch ist. Von 2001 bis 2006 war er Generalmusikdirektor in Frankfurt/Oder. Ehrendirigent des Brandenburgischen Staatsorchesters mit Sitz in der Kleiststadt an der polnischen Grenze ist er bis heute geblieben und fährt regelmäßig dorthin.
Ab 1991 hieß sein Bonner Orchester „Klassische Philharmonie Telekom Bonn“. Der Name sah leider ein bisschen nach Laienorchester einer Firma aus und wurde bald wieder geändert. „Die zehnjährige Zusammenarbeit mit der Telekom war wunderbar. Sie hat uns Gastspiele und technisch perfekte CD-Aufnahmen ermöglicht. Allein unsere zur Olympiade 1998 in Barcelona erschienene CD mit spanischer Musik war trotz einer Auflage von 60.000 Stück in kürzester Zeit vergriffen.“ Spanien ist im 21. Jahrhundert ein Fixpunkt auf Beissels großer Konzertreisenlandkarte geblieben. Zu Ostern 2006 wurde die von ihm mit seinen beiden Bonner Ensembles in Barcelona gestaltete Johannespassion von Johann Sebastian Bach von einem spanischen Kultursender landesweit live im Radio übertragen; 2010 ist eine Chor-Tournee auf die iberische Halbinsel geplant.
Zeit scheint für den international gefragten Dirigenten (mehrere Jahre arbeitete er ganz nebenbei mit dem Tokyo Symphony Orchestra zusammen), der privat in Remagen wohnt, ein Fremdwort zu sein. Ein Grandseigneur der Musik ist er im T-Shirt und im Frack, ein begnadeter, publikumsfreundlicher Musikplauderer sowieso. Über 90% des Etats spielt seine Klassische Philharmonie selbst ein; die kommunalen Zuschüsse sind gering.
Schöne Räume mit historischem Flair und guter Akustik nutzt der ständig mit spitzem Bleistift rechnende, diplomatisch pfiffige und mit etlichen Größen aus Politik, Wirtschaft und Kultur befreundete Prinzipal gern. Seine diversen Preise und Orden findet er zweckdienlich. Weil er zahllose wichtige Konzertsäle professionell besser kennt als viele nur politisch Hellhörige, musiziert er bis auf Weiteres gern in der Bonner Beethovenhalle, hat aber ein offenes Ohr für alle klugen Ideen.

Dienstag, 25.02.2014

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