Schreker, Franz (1878 - 1934)

aus kultur Nr. 68 - 7/2010

„Der reine Klang, ohne jede motivische Beigabe, ist, mit Vorsicht gebraucht, eines der wesentlichsten musikalischen Ausdrucksmittel, ein Stimmungsbehelf ohnegleichen.“ Zeit seines Lebens faszinierte Franz Schreker das Phänomen des reinen Klangs, das innerhalb seines Œuvres eine zentrale Rolle spielt.
Schreker wurde in Monaco geboren. Er war der Sohn des österreichischen Hoffotografen Ignaz (eigentlich: Isaak) Schre­cker. Nach vielen Reisen durch Europa wohnte die Familie seit dem frühen Tod des Vaters 1888 in Wien.
Bald schrieb der spätere Komponist seinen Familiennamen ohne „c“. Mit 14 Jahren musste er bereits zum Lebensunterhalt beitragen und übernahm ein Organistenamt in Döbling. 1892 konnte Schreker durch ein Stipendium der Fürstin Alexandrine von Windischgraetz ein Violinstudium am Wiener Konservatorium beginnen; fünf Jahre später wechselte er in die Kompositionsklasse von Robert Fuchs. Nach Abschluss seines Studiums arbeitete Schreker zunächst als Privatlehrer. Während dieser Zeit entstanden seine ersten Orchesterwerke; zuvor hatte er überwiegend Lieder komponiert. Die konzertante Uraufführung seiner ersten Oper Flammen (1902) war ein Misserfolg, woraufhin er die Arbeit an seiner zweiten Oper Der ferne Klang zunächst ruhen ließ. 1908 erhielt Schreker den Auftrag, für die Wiener Kunstschau die Musik zu der Pantomime Der Geburtstag der Infantin nach Oscar Wilde zu komponieren. Mit der Tänzerin Grete Wiesenthal uraufgeführt, begründete dieses Werk den Ruhm des Komponisten als einen führenden Vertreter der musikalischen Moderne. Im selben Jahr übernahm Schreker für zwölf Jahre die Leitung des Philharmonischen Chores in Wien, mit dem er zahlreiche Ur-, bzw. Wiener Erstaufführungen mit Werken von Schönberg, Zemlinsky, Delius und Mahler bestritt. Der endgültige Durchbruch gelang Schreker schließlich mit der Uraufführung seiner Oper Der ferne Klang im Jahre 1912. Seitdem zählte er zusammen mit Richard Strauss zu den wichtigsten deutschsprachigen Musikdramatikern.
1912 übernahm Schreker einen Lehrstuhl für Komposition an der Wiener Musikakademie; zu seinen Schülern zählten u.a. Alois Hába und Ernst Krenek. Seine 1920 uraufgeführte Oper Der Schatzgräber wurde Schrekers erfolgreichstes Bühnenwerk. Im selben Jahr wurde er als Direktor an die Berliner Musikhochschule berufen. In dieser Funktion sorgte er für eine moderne, technische Ausstattung, die ihresgleichen suchte und war Mitbegründer der 1928 eingerichteten Rundfunkversuchsstelle. Durch eine Reihe prominenter Berufungen gelang es ihm, die Hochschule bald zu einer der führenden musikalischen Bildungsanstalten Europas zu machen. Unter politischem Druck musste Schreker 1932 diese eigentlich unkündbare Stelle aufgeben und übernahm bis zur Machtübernahme durch die Nationalsozialisten für kurze Zeit eine Kompositionsklasse an der Preußischen Akademie der Künste. Eine Emigration gelang dem Juden Schreker, dessen Werke nun verboten wurden, trotz intensivster Bemühungen nicht. Im Dezember 1933 erlitt der Komponist einen ers­ten Schlaganfall, an einem zweiten starb er zwei Tage vor seinem 56. Geburtstag im März 1934.
„Bei Schreker zeigt sich die absolute Beherrschung seines musikalischen Handwerks im Konzept des Klanges. Sein inneres Gehör vermochte es, nie zuvor gehörte Akkorde oder Akkordkombinationen übereinander zu schichten. Er entfernte sich in der Aufeinanderfolge einzelner Klangereignisse von den Gesetzen des diatonischen Sys­tems (s.u.), das er dennoch weiter nutzte. Seine Klangvorstellungen von Instrumenten und deren Kombinierungen schienen grenzenlos.“ (Michael Haas) In Schrekers neun musikdramatischen Werken, deren Libretti er mit Ausnahme des letzten selbst verfasste, tritt die Klangfarbe oftmals als primäre kompositorische Kategorie in den Vordergrund. Seine bis 1924 entstandenen Opern zeichnen sich durch eine überbordende Koloristik, einen „unerhörten Klangzauber“ aus. In seinen späteren Werken verwendete Schreker verstärkt kontrapunktische Techniken. Diese bestimmen zum Teil ganze Szenen (z.B. in Der singende Teufel oder Der Schmied von Gent), so dass der Eindruck eines kantigeren Klangs entsteht. Der Komponist mischte Genres und Stilarten nach seinen dramaturgischen Vorstellungen. Er gebrauchte die musikalische Montage und vollzog abrupte akustische Schnitte. Die Personen seiner Opern sind psychologisch differenziert gezeichnet. Beeinflusst von den Theorien Sigmund Freuds ist seine Musik ein Seismograph des Unbewussten mit all seinen ungeordneten, sprunghaften Prozessen. Schrekers Stil wurde häufig als „psychischer Realismus“ bezeichnet.
Den größten Erfolg hatten seine Opern in den frühen 1920er Jahren. Nach dem zweiten Weltkrieg gerieten sie für lange Zeit weitgehend in Vergessenheit, und auch heutzutage stehen die Bühnenwerke Schrekers eher selten auf dem Spielplan.
Umso mehr ist es zu loben, dass die Oper Bonn mit Irrelohe eine Oper Schrekers für die kommende Saison geplant hat. (Premiere 7. November 2010). E.H.


Lesetipp:
- Otto Kolleritsch, Franz Schreker - Am Beginn der neuen Musik, UE.
- Katalog zur Ausstellung: Franz Schreker, Grenzgänge - Grenzklänge, Mandelbaum.
- Christopher Hailey, Franz Schreker, 1878-1934, böhlau, erscheint Mitte
Juni 2010
Hörtipps:
- Der Schatzgräber, Protschka, Schnaut, Stamm, Haage, Helm, Kruse, Philh. ­
Staatsorch. Hamburg, Albrecht, Capriccio.
- Der Geburtstag der Infantin-Suite, Luzerner Sinfonieorchester, Axelrod, Nimbus.
- Lieder, Andreas Schmidt, Noemi Nadelmann, Adrian Baianu,
Arte Nova Classics.

Dienstag, 15.02.2011

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