Extrawurst - Contra Kreis Theater - Kultur Nr. 179 - Sommer 2023

Bitterböse Gesellschaftssatire

Nicht bloß, weil die sommerliche Grillsaison gerade begonnen hat, ist dieser heiße Kulturkampf das Stück zur Stunde. Klischees und Vorurteile landen da so treffsicher auf dem Grillrost, dass im Publikum die Lacher nur so prasseln. Dabei hat alles völlig harmlos angefangen: Eine normale Mitgliederversammlung eines angesehenen Tennisclubs irgendwo in einer kleinen Stadt. Reine Routinesache für den langjährigen Vorsitzenden Dr. Heribert Bräsemann. Aber der Tagesordnungspunkt „Verschiedenes“ enthält einen Zündstoff, der in wenigen Minuten die Sache dramatisch explodieren lässt. Es geht um die Anschaffung eines neuen Grills für die Sommerfeste des Vereins, hier des real existierenden, aber auf der Bühne selbstverständlich fiktiven Tennis-Klubs Grün-Weiss e.V. Bad Godesberg. Matthias Scholz, Heriberts ambitionierter Stellvertreter, hat extra eine ­Powerpoint-Präsentation vorbereitet zur Vorstellung und zur Rentabilität des teuren Elektro-Luxusgeräts, auf dem bald zahlreiche Würstchen, Steaks und ­Koteletts brutzeln sollen.
Doch dann geht es tatsächlich um die Wurst. Denn Erol Oturan, das einzige türkische Vereinsmitglied, ist Muslim, darf also bekanntlich kein Schweinefleisch essen. Auch nichts, was damit in Berührung gekommen ist oder nur mit dessen Saft oder Rauch. Melanie Pfaff plädiert also vehement für einen Extragrill statt eines „versauten“. Dem sportlichen Erol, Rechtsanwalt und Einwanderer der zweiten Generation, ist das im Grunde ziemlich egal. Doch der rasch eskalierende Streit ist nicht mehr zu stoppen in der bitterbösen Gesellschaftssatire Extrawurst des ebenso erfahrenen wie brillanten Autorenduos Dietmar Jacobs und Moritz Netenjakob. Das brandaktuelle Stück ist seit der Uraufführung 2019 am Hamburger Ohnsorg-Theater ein Bühnenrenner geworden. Zu Recht, wie nun auch die ungemein flotte Inszenierung von René Heinersdorff im Bonner Contra-Kreis-Theater beweist.
Das Publikum ist Teil der Vereinsversammlung und darf mitstimmen beim glühenden Würstchen-Konflikt. Vor allem jedoch darf man lachen angesichts der überraschenden Pointen und messerscharfen Wortgefechte. Da knallen Multi-Kulti-Gutmenschen-Leitbilder auf verborgene Ressentiments, linksliberale Toleranzforderungen auf nationalistische Borniertheit und spießiger Starrsinn auf gallige Sarkasmen. „Sarkasmus ist das Tor zur Hölle“, weiß der jovial autoritäre Heribert (großartig: ­Martin Zuhr). Und genau da schmoren alle bald so streitlustig, dass der Vorsitzende sein Amt vorläufig aufgibt. Womit der verkniffene Kleinbürger Matthias (fabelhaft als ehrgeiziger „Grillmaster“ mit Hang zu bräunlichen Führer-Allüren: Stephan Schleberger) sich am Ziel seiner Wünsche wähnt.
Die Lunte gelegt hat Melanie, hervorragend verkörpert von Madeleine Niesche im schicken Tennisdress (Garderobe: Anja Saafan). Wie eine heilige Johanna der Religionsfreiheit, Integration und Emanzipation stürmt sie gegen alle Barrikaden, von denen bisher keiner was ahnte. Selbst Erol nicht, dem jedoch irgendwann der Quotentürken-Kragen platzt. Giovanni Arvaneh, Sohn einer Italienerin und eines Iraners, spielt grandios den selbstbewussten, liberalen Muslim. Abgespeist mit einem reparaturbedürftigen Holzkohle-Grill oder dem auf Heriberts Dachboden vor sich hin rostenden Wurstbräter – da ist Angriff angesagt. „Ihr habt die Kanaken und Schmarotzer aus Anatolien doch selbst in euer Land geholt und wundert euch jetzt über deren konservatives Wahlverhalten!“ Politisch korrekt ist das gerade nicht.
Melanies Gatte Torsten, sprachsensibler Werbetexter (glänzend als intellektueller Blender: Pascal Spielvogel), mutiert flugs vom supertoleranten Typen, Anti-Macho und coolen Aufklärungs-Fan zum ironischen Verbalterroristen. Zumal Melanie und Erol als gemischtes Doppel die sportlichen Stars des Vereins sind und sogar auf Kurs zur Landesmeisterschaft.
Schlichte eheliche Eifersucht wäre fast schon ein Konfliktlösungs-Angebot, aber es wird munter nachgepfeffert und -gesalzen mit Neid und einer Menge fixer Ideen aus dem Repertoire der ach so fremdenfreundlichen ‚biodeutschen‘ Mittelklasse. Nach einer Feuerpause geht der Krach noch mal richtig los. Nach braven gegenseitigen Entschuldigungen für alle bisherigen Faux-Pas wird nach Herzenslust weiter gemauert und in alte Wunden gestochen, bis die Tennisbälle allen um die Ohren fliegen. Der Gott des Gemetzels feiert hier ein irrwitziges Fest mit Typen, die wohl jedem recht bekannt vorkommen. Beim offenen Ende stehen alle irgendwie ratlos in einem künstlichen Abseits-Paradies und hoffen auf eine Portion Extrawurst-Frieden im Donnergrollen der Empörungskultur. Köstlich durchgegrillt bis zum letzten Weiß-, Blut-, Sucuk- oder Vegan-Wurstzipfel. Das ist urbaner Boulevard auf Best-Niveau. Und mit dem exzellenten Schauspielquintett ein hinreißender Spaß mit gesundem Lachmuskel- und Hirntrainings-Potenzial. E.E.-K.
Spieldauer ca. 2 Stunden inkl. einer Pause
Die weiteren Vorstellungen:
bis 30.06.23 täglich außer Montag und Dienstag (auch 13.06.23)

Dienstag, 01.08.2023

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Letzte Aktualisierung: 29.04.2024 14:01 Uhr     © 2024 Theatergemeinde BONN | Bonner Talweg 10 | 53113 Bonn