Der Duft von Wirklichkeit - Kleines Theater - Kultur Nr. 178 - Mai 2023

Aufruhr in der Traumfabrik

Der Siegeszug des Tonfilms läutete das Ende der klassischen Operette ein. Doch auch im Kino gab es unvergessliche Lieder. „Liebling, mein Herz lässt dich grüßen …“, zum Beispiel. Wer da sofort an die legendären Comedian Harmonists denkt, liegt völlig richtig. Sie haben den Ohrwurm tatsächlich gesungen in der 1930 uraufgeführten Tonfilm-Operette „Die drei von der Tankstelle“. Die Ufa-Stars Lilian Harvey und Willy Fritsch interpretierten den Schlager in dem einstigen Kino-Hit als Traumduett. Aber wer erinnert sich noch an den Komponisten Werner Richard Heymann (1896 – 1961), der in den 1920er Jahren zahlreiche Stumm- und Tonfilm-Musiken schuf, 1926 zum ­Generalmusik­direktor der Ufa aufstieg und wegen seiner jüdischen Abstammung 1933 nach Paris und danach in die USA emigrierte? Ihm verdankt die Welt bis heute lebendige Lieder wie „Ein Freund, ein guter Freund“ oder „Das gibt’s nur einmal“.
Das Musical Der Duft von Wirklichkeit von Werner Bauer, der die Uraufführung am Kleinen Theater auch selbst inszeniert hat, ist indes nicht nur inspiriert von Heymanns unsterblichen Schlagern, sondern auch von Woody Allens Kinoklassiker The Purple Rose of Cairo, in dem eine Filmfigur plötzlich die Leinwand verlässt und in die reale Welt eintaucht. Was nicht ganz einfach ist, wenn nach einer Szene nicht die übliche Abblende folgt und die Story in einer unbekannten Wirklichkeit ohne Kamera weiterläuft.
Um es gleich vorweg zu sagen: Bauers Drama ist ein Geniestreich, der mehrere Fiktionsebenen spielerisch so raffiniert verknüpft, dass Theater- und Kinowirklichkeit wunderbar miteinander verschmelzen. Bauer hat dafür die Bühne des Kleinen Theaters in einen Filmvorführraum mit großem Bildschirm verwandelt. Der schüchterne kleine Musikstudent Fritz, der unter seinen hübschen Locken ein eher bescheidenes Talent verbirgt, ist plötzlich in die Babelsberger Ufa-Filmstudios beordert worden. Dort soll er dem berühmten Komponisten Heymann assistieren, sichtet also die Probeaufnahmen zu dem neuen Werk „Ruhestörung im Paradies“. Tatsächlich wurden 1933 etliche Studenten von den Berliner Hochschulen von der Ufa engagiert, um die durch die Entlassung der jüdischen Mitarbeiter entstandenen Lücken zu füllen.
Weil Fritz von seiner Aufgabe sichtlich überfordert ist, steigt Claudine, die weibliche Hauptfigur des Schwarz-Weiß-Films, einfach aus der Leinwand und steht nun vor ihm: Lebendig und in Farbe. Und beschnuppert erst mal den sympathischen jungen Mann. Kann eine Filmfigur, die bisher nur in den Träumen aus Licht existierte, eigentlich etwas riechen? Jedenfalls gefällt ihr der „Duft von Wirklichkeit“ zunehmend: „Es führt kein andrer Weg zur Seligkeit“. Aber was machen nun die Kollegen, die plötzlich ohne Partnerin in ihrer Geschichte festhängen? Am besten wohl auch aussteigen, um auf der Bühne zu singen und zu tanzen. In der flotten Choreografie von Sylvia Bartusek, die zuletzt hier schon im Musical Cabaret für Bewegung sorgte, tun sie das hinreißend.
Klaudia Amanda Zajac, die in einigen Cabaret-Vorstellungen schon als Sally Bowles einsprang, ist die bezaubernd kapriziöse Claudine. Wolfram Föppl verkörpert unwiderstehlich den jungen Fritz, der dem Star die Lichter der Stadt Berlin zeigt und seine Verwirrung bald vergisst. „Fühlen, nicht denken!“ hat ihm Claudine empfohlen. Marie-Agnes Lumpp ist die strenge Sekretärin, die Fritz eher beiläufig mitteilt, dass Heymann nicht mehr kommen wird. Im Film gibt sie das schnippische Hausmädchen Antibes, das auf der Bühne zur blonden ­Garçonne mutiert. Sebastian ­Smulders ist der französische Charmeur („Gnädige Frau, komm und spiel mit mir“), nach der Pause auch der ­zackige Nazi-Offizier, der das Filmdrehbuch kurzerhand umschreiben will, um daraus ein linientreues Propaganda-Werk zu machen. Doch da spielen die Filmfiguren nicht mehr mit und behaupten selbstbewusst: „Hoppla, jetzt komm ich“. Derweil hält auf der Leinwand der Hausherr (gespielt vom Intendanten Frank ­Oppermann selbst) die Stellung. Einer muss ja warten, bis die entlaufenen Filmfiguren zurückkehren. Und ganz sicher nicht das spielen werden, was die Reichsfilmkammer von ihnen verlangt.
Für die fabelhaften Kostüme im Dreißiger-Jahre-Look hat Burkhard Klein gesorgt, für Perücken und Maske die erfahrene Heidemarie Furmanek. Die musikalische Leitung ist bei dem Bonner Musiker Stephan Ohm in allerbesten Händen. Schade nur, dass seine live gespielte Begleitung am Piano hinter der Bühne versteckt bleibt. Ansonsten gilt die Devise „Irgendwo auf der Welt gibt’s ein kleines bisschen Glück“. Bei der ausverkauften Premiere im Kleinen Theater, das mit diesem brillanten Musical auch den 100. Geburtstag seines Hauses am Bad Godesberger Stadtpark feierte, wollte der beglückte Applaus mit Standing Ovations für das exzellente Ensemble kaum enden. Darüber freute sich auch Elisabeth Trautwein-­Heymann, die eigens angereiste Tochter des Komponisten.
Bei der Premiere saßen ebenfalls Claus Wilcke, Josef Tratnik und Erwin ­Geisler im Publikum, die ab dem 2. Juni auf der Außenbühne des Kleinen Theaters Kerle im Herbst spielen. Regie führt wieder Wolfgang Bauer.
E.E.-K.
Spieldauer ca. 2 Stunden, inkl. Pause
Vorstellungen bis 26.05.23 (nicht täglich)

Donnerstag, 01.06.2023

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