Vorsprechen für zwei - Theater die Pathologie - Kultur Nr. 178 - Mai 2023

Vergnüglicher Blick hinter die Kulissen

Ob sie sich bereits in der Schauspielschule kennen und hassen gelernt haben, tut nicht viel zur Sache. Jedenfalls können Marie und Jean-Marc sich nicht ausstehen. Immerhin haben die beiden jungen Schauspieler es bis in die letzte Casting-Runde an einem kleinen Pariser Theater geschafft. Jean-Marc (Timo Aust als langhaariger Latin-Lover-Typ) ist der eitle Macho mit großem Ego und bescheidener Intelligenz. Er rappt den Hamlet, hat aber von Molière noch nie was gehört. ­Marie (Carina Siekirka als ehrgeiziges blondes Sensibelchen mit Hang zur Hysterie) verlangt Texttreue, steht auf Strasbergs „method ­acting“, kommt gut in die Rollen rein, aber schwer wieder raus. Die Julia als magersüchtiges Girlie im Hungerwahn war ihr bisheriges Paradestück. Jean-Marc sieht sich schon als Hollywood-Star, Marie macht derweil Atem- und Lockerungsübungen.
Jacques Brels Chanson „Au suivant“ ertönt im Hintergrund. Der Nächste bitte! Musterung oder Bordell – Vorsprechen für eine Bühnenrolle kann da bezüglich Traumatisierungs-Potenzial durchaus mithalten. Zumindest in der Komödie Vorsprechen für zwei von Stephan Eckel, deren Uraufführung Johannes Prill höchst amüsant im Theater die Pathologie inszeniert hat. Ein schwarzer Raum, zwei Stühle, ein Regietisch in der ersten Reihe: Das reicht für einen vergnüglichen Blick in die dramatische Kampfzone. Von verbalen bis zu handgreiflichen Gemeinheiten - es kracht zwischen den zwei Kandidaten so heftig, dass sie das leise Erscheinen des Regisseurs erst mal gar nicht wahrnehmen. Alles in Ordnung: Der Zoff war natürlich nur eine Szenenprobe. Allerdings so ­realistisch, dass der erfahrene Regisseur die beiden gleich für ein echtes Paar hält. Aber wo liegt die Grenze zwischen wirklichem Leben und künstlerischer Darstellung?
Volker Hein als Regisseur Edouard Duval gibt sich mal zynisch, mal väterlich jovial angesichts der zunehmend aus dem Ruder laufenden Theater-Aspiranten. Jean-Marcs vertrottelter Lear (warum hat der Junge sich ausgerechnet das ausgesucht?) war schon grauenvoll genug. Maries selbstverfasster Muttertrauma-Monolog toppt jedoch schnell die schlimmsten Erwartungen. Aber die anderen Vorsprecher waren offenbar noch schlechter. Deshalb macht er den beiden noch mal Mut, was aber auch ein Trick sein kann. Auf jeden Fall soll die neue Komödie mit dem schönen Titel „Das Brautkleid von Papa“ bald auf die Bühne kommen. Jean-Marc hat den Text zumindest schon auf seinem Handy gespeichert, die fleißige Marie kann ihn sogar bereits auswendig. Und Duval hat einen Ruf zu verlieren, seitdem er Shakespeares Sturm mit drei Waschmaschinen und einer Herde Schafe inszenierte. Wer da was spielt, ist ihm eigentlich ganz egal. Was wirklich zählt, ist nur die spektakuläre Inszenierung.
Heins Parodie des allmächtigen Regisseurs ist ein Glanzstück im hellen ­Backstage-Wahnsinn inkl. Blackout und anderen Widrigkeiten. In der Not werden selbst Feinde ein Team. Also kommt Maries Elektroschocker zum Einsatz, und der Regisseur wird ­kurzer­hand an einen Stuhl gefesselt. Die Opferrollen spielen die beiden Vorsprecher auf der „Me too“-Schiene ihm dann aber so überzeugend vor, dass ihnen zuletzt doch das Engagement sicher ist. Das lustvoll-böse, witzig inszenierte Theaterkriegsspiel macht großen Spaß, signalisierte das Publikum bei der ausverkauften Premiere. E.E.-K.

Spieldauer ca. 70 Minuten, ohne Pause
Die nächsten Termine: 5.05. // 6.05. // 31.05. // 30.06. // 1.07.23

Donnerstag, 01.06.2023

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