Ruhestörung - Euro Theater Central - Kultur Nr.176 - Februar / März 2023

Sehnsucht nach Stille im städtischen Rumor

Es ist paradox: Die Menschen verlangen nach Stille und machen ständig Lärm. Überall und auf kleinstem Raum. Rund einen Quadratmeter Spielfläche hat der Schauspieler Jonathan Dorando für das Porträt eines Mannes, der einfach nur seine Ruhe haben möchte. Ausgerechnet ihn hat man der Ruhestörung bezichtigt. An einem Sonnabend um drei Uhr (egal ob nachmittags oder nachts) soll er geschrien haben. Der Vermieter hat an seiner Wohnungstür geklingelt und lautstark mit Kündigung gedroht. Dieser Herr Theven mit seinem Schweinsgesicht, dem ständig bellenden Hund und der Schlagbohrmaschinen-Manie. Überall im Haus herrscht Krach: Staubsauger und Kreissägen, Familien-Zoff und enervierende ­Haustür­bimmeln. Nebenan hört garantiert immer jemand die Hitparade deutscher Volksmusik. Draußen sorgen frühmorgens regelmäßig die Müllabfuhr und startende Autos für das Ende der Nachtruhe. Für einen geistig arbeitenden Menschen ist diese Geräuschflut die Hölle.
Michael Meichßner, der am Euro Theater Central mit großem Erfolg Kleists Michael Kohlhaas als Monodrama spielte (2017 mit dem Monica-Bleibtreu-Preis ausgezeichnet), hat nun den 1998 uraufgeführten Monolog Ruhestörung. Ein Anfall von Eugen Ruge im Treppenhaus des neuen ETC-Domizils inszeniert. Der Autor, geboren 1954 in einem sowjetischen Straflager im Nordural, wohin sein Vater verbannt war, der später in der DDR ein prominenter Historiker wurde, erhielt 2011 für seinen Roman In Zeiten des abnehmenden Lichts den Deutschen Buchpreis. Sein erstes Drama Vom Umtausch ausgeschlossen kam übrigens 1990 am Schauspiel Bonn heraus.
Achtzehn Zuschauer finden Platz auf Stühlen vor der Wohnungstür des angeblichen Ruhestörers und auf den Treppenstufen. Auf einem Bildschirm steht die Hausordnung, per Livekamera erscheint dort auch das Innere des spartanisch eingerichteten Zimmers, in dem der namenlose Mann seiner Empörung Luft macht. Es ist ein raffiniertes Spiel mit Drinnen und Draußen, Privatem und Öffentlichem. Der Mann formuliert einen rechtstauglichen Widerspruch gegen die drohende Räumungsklage und steht dann wieder vor der Tür, um seine persönlichen Leidensarien vorzutragen. Ist er ein notorischer Querulant, ein verzweifelter Psychopath, ein hypersensibler Misanthrop? Ein kleiner Wutbürger, der gegen die akustische Umweltverschmutzung protestiert und dabei flugs die ganze Gesellschaft ­attackiert? Dorando wechselt witzig die Sprachregister vom nüchternen Diskurs zur direkten Ansprache, vom leisen Lamento zum lustvoll verbitterten Protest. Genau die Mischung, aus der manche Gruppen politischen Gewinn ziehen.
Das Euro Theater erobert mit Ruhestörung schon mal den Vorraum für die hoffentlich irgendwann fertiggestellte Bühne weiter oben. Was der Mann, der wahrscheinlich bloß laut dachte, bei seinem Wohnungsauszug unter dem Arm trägt, ist übrigens eine schön gerahmte Katasterzeichnung des neuen ETC-Hauses an der Budapester Straße, das das Theater mit viel Unterstützung käuflich erwerben konnte und nun allmählich spieltauglich machen möchte. E.E.-K.

Spieldauer ca. 50 Minuten, keine Pause
Die nächsten Termine: 22.02. // 23.02.23

Samstag, 01.04.2023

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