Ich will keine Schokolade - Contra Kreis Theater - Kultur Nr. 175 - Januar 2023

Hinreißende Trude-Herr-Revue

„Ich bin eine Frau von Format“ – die Kölner Schauspielerin Trude Herr (1927 – 1991) war das in jeder Hinsicht. 156 Zentimeter groß und rund zwei Zentner schwer, also keine Idealmaße für eine Bühnenkarriere. Aber „dat Pummel“ hatte nicht nur Talent, sondern auch ein unerschütterliches Selbstbewusstsein, ein rheinisch weltoffenes Herz und ein freches Mundwerk, das sich keine Butter vom Brot nehmen ließ. Wer Sorgen hat, braucht reichlich Konfekt, auch wenn die Konfektionsgröße in die Höhe schnellt. „Steh auf, Kopf hoch, dann lernst du auch das Fliegen“ – diese Mutmacher-Devise prägt die großartige „Trude-Herr-Revue“ von Stephan Ohm (s. Interview in dieser kultur, Seiten 14-15), die bei der Uraufführung im Contra-Kreis-Theater das Publikum am Ende von den Sitzen zog und zu einem Beifalls-Sturm animierte, der dann endlich auch den sehnsüchtig erwarteten Titel-Hit Ich will keine Schokolade auf die Bühne pustete.
Sensationell verkörpert Tanja Bahmani das kölsche Original. Die gebürtige Rheinländerin mit orientalischen Wurzeln, regelmäßiger Gast am Hamburger Ohnsorg-Theater, lässt Trude Herr wieder auferstehen, wie sie leibte, liebte und lebte. Mit großer Stimme und ungemein beweglich tanzt sie durch die Geschichten von den Höhen und Tiefen einer Karriere. Von wegen High Heels – da fliegen schon mal die bequemen Schluffen ins Publikum. Sie kann sexy sein und sentimental, kokett und selbstironisch, dreist und tiefgründig. Es ist Juni 1987: Da sitzt Trude in einem Kölner Tonstudio, um ihr Abschiedskonzert vorzubereiten, bevor sie sich davonmacht auf die Fidschi-Inseln. Ihr Gesicht im Spiegel signalisiert Reparaturbedarf. Deshalb wurde extra eine Maskenbildnerin aus München engagiert, die zwar mit dem kölschen Idiom einige Schwierigkeiten hat und den Star zunächst für die türkische Putzfrau hält, aber bald der Faszination ihres temperamentvollen Gegenübers erliegt. Barbara Köhler spielt witzig die blonde bayerische Sophie und läuft später zu großer Form auf, als sie die berührende Hymne an den geliebten „Papa“ singen darf, weil Trude dabei immer „kriesche“ (hochdeutsch: weinen) muss. Herr sang das Lied 1961 bei der Beerdigung ihres Vaters, der als Kommunist lange inhaftiert war und todkrank aus dem Konzentrationslager heimkehrte.
An den Wänden des Studios hängen Bilder aus Trudes turbulenter Vergangenheit (Bühne: Tom Grasshoff); die Heldin beginnt zu plaudern, erzählt Anekdoten und greift zu Kleidern vom Garderobenständer (Kostüme: Anja Saafan). „Ich sage, was ich meine“, hieß tatsächlich das Album mit von ihr neu übertragenen internationalen Pop-Hits, das sie 1987 in Monheim aufnahm. Sie tut das klar und deutlich: Kölscher Klüngelkarneval – „Die offiziellen Sitzungen haben den Unterhaltungswert einer Kleintierausstellung in Castrop-Rauxel“ – bitte keine Büttenreden mehr! Nach dreißig Filmen auch keine weiteren TV-Drehs. Ebenfalls bitter waren die Erfahrungen mit der Stadt, die ihrem „Volkstheater“ im Vringsveedel, wo sie eigene Stücke wie beispielsweise „Die kölsche Geisha“ präsentierte, jegliche Zuschüsse verweigerte. Trotz einer Auslastung von 97% war 1986 nach knapp einem Jahrzehnt aus finanziellen Gründen Schluss mit lustig. Das Lied „Älter sein“ trifft ohnehin mitten in alle Herzen.
Doch jemand wie die Herr gibt nicht auf. Trotzig schmettert sie ihr Manifest „Ich ben dodurch“. Das große Abschiedskonzert hat so nie stattgefunden, aber das Lied „Niemals geht man so ganz“, das sie 1987 (damals schon von Krankheiten geschwächt) mit Wolfgang Niedecken und ­Tommy Engel aufnahm, machte sie unsterblich. Da werden die Handy-Taschenlampen geschwenkt, und viele singen beseelt mit. Der Autor und musikalische Leiter Stephan Ohm begleitet in der Rolle des Musikers Jürgen die vom Hausherrn Horst Johanning mit viel Witz schwungvoll inszenierte Story virtuos am Keyboard. Auf die geschickt erfundene Probe mit biografischen Erinnerungen folgt nach der Pause der große Auftritt. Zusammen mit dem großen, gertenschlanken Stefan Erz (Tontechniker Marc) an der E-Gitarre, der aussieht wie eine Mischung aus frühem Niedecken und spätem Mick Jagger, und der fabelhaften Sängerin Barbara Köhler (Freundin Anne, unschwer zu identifizieren mit Anne Haigis) rockt Bahmani die Bühne.
„De Hipp vom Nümaat“ ist für Ortsfremde vielleicht nicht direkt zu verstehen, aber man muss weder Kölsch-Spezialist noch eingefleischter Trude-Herr-Fan sein, um die herrliche Show mit dem musikalisch und spielerisch glänzenden Quartett zu genießen. Sahnige Schokolade mit viel Herzblut und einer ordentlichen Prise Pfeffer! Mitklatschen ist erwünscht.
Spieldauer ca. 2 Stunden, inkl. Pause
Die nächsten Vorstellungen: dienstags bis sonntags bis zum 29.01.23

E.E.-K.
Spieldauer ca. 1 ¾ Stunden inkl. Pause
Die nächsten Termine: 28.01. / 29.01. / 5.03. / 8.04. / 9.04.23

Mittwoch, 01.02.2023

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