Woodwalkers. Carags Verwandlung (Uraufführung) - Jungen Theater Bonn - Kultur Nr. 172 - Oktober 2022

Phantastische Tierwesen als großer Theaterzauber

Es geht auch ohne Zauberstäbe und tolle Kinoeffekte. Vielleicht sind Tiermenschen oder Menschentiere einfach da, weil die Welt nicht so eindeutig ist, wie sie vielen erscheint? Und wer hat nicht schon mal davon geträumt, ein ganz anderes Lebewesen zu sein? Ein stolzer Adler vielleicht, eine geschmeidige Großkatze oder eine Superspinne, die in ihren Netzen Übeltäter einfängt. Katja Brandis hat in ihren Woodwalkers-Romanen die uralten Metamorphosen-Geschichten fortgeschrieben und damit seit 2016 Millionen von jungen Leserinnen und Lesern fasziniert. Walker, das sind Lebewesen, die zwischen Tier- und Menschengestalt wechseln können, was nicht immer freiwillig geschieht und einiger Übung bedarf. Carag zum Beispiel wächst im nordamerikanischen Wald als Puma auf, bis sein Vater Xamber, ebenfalls ein Wandler, ihn mitnimmt zu einem Ausflug in die Menschenwelt. So ganz klappt das beim ersten Mal noch nicht, denn beim Anblick der reichen Beute auf dem Markt einer Kleinstadt mutiert Carag unversehens wieder zur Wildkatze. Was den Fleischhändler zum Gewehr greifen lässt. Dennoch beschließt Carag, fortan als Menschenjunge zu leben. Schweren Herzens entlässt ihn sein Vater in das neue Dasein.
Zum ersten Mal überhaupt präsentiert das Junge Theater Bonn eine Bühnenbearbeitung der fantastischen Woodwalker-Welt. Einer etablierten Tradition folgend, fanden die Premieren mit unterschiedlicher Besetzung der Kinderrollen im Telekomforum statt. Der Schauspieler und ­Theaterpädagoge Marcel Höfs hat für Carags Verwandlung, den ersten Teil der Abenteuergeschichte, eine Theaterfassung geschrieben, die den Erzählton der Vorlage sehr schön in dramatische Dialoge überträgt. In der Regie von Nick Westbrock, der am JTB bereits Die Schule der magischen Tiere inszenierte, funktionieren die Verwandlungen fabelhaft. Durch Lichtwechsel, Bewegungen, Musik, Stimmverfremdungen, ­­ (­Sound­-­design: Ralf Sunderdick), Masken und Kostüme (letztere wunderbar detailreich gestaltet von Katharina Savvides) wird das Changieren zwischen den Identitäten sinnfällig. Die farbenfrohe Bühne von ­­Ann-Sophie Paar eröffnet immer neue Schauplätze vom Dschungel bis zur geheimnisvollen Internatsschule „Clearwater High“, geleitet von der strengen Weißkopfadler-Wandlerin Lissa Clearwater, mit schneeweißer Perücke und gefiederten Beinkleidern großartig verkörpert von Andrea Brunetti aus dem Erwachsenen-Ensemble. Oberste Schulregel: Alle leben friedlich zusammen. Beutefänger dürfen Beutetiere weder angreifen noch demütigen und schon gar nicht fressen.
Im Nachwuchs-Ensemble agieren überwiegend Bühnenneulinge. Zoltan Selo (alternierend mit Niklas Jost), der schon über JTB-Erfahrungen verfügt, spielt ungemein intensiv den sensiblen dreizehnjährigen Carag, der zwischen tierischer und menschlicher Natur seinen Platz finden muss. Kein strahlender Held, eher ein nachdenklicher Beobachter. Ihm zur Seite steht das quirlige Rothörnchen Holly (Frieda Bücheler / Mira Gräf), das mit einem fröhlichen „Das wird nussig“ immer rechtzeitig zur Stelle ist. Ein echter Sympathieträger ist der ängstliche kleine Bison-Wandler Brandon (Paul Rees / Niklas ­Windeck), der im Notfall mit seinen Mais-Vorräten ungeahnte Kräfte entwickelt. Ganz ohne Zwietracht bleibt es freilich auch hier nicht. Denn da ist noch der arglistige Wolfsjunge Jeffrey (Willem Frings / Lennard Droste) mit seiner ihm treu ergebenen Polarwolf-Freundin Tikaani (Kira Muß / Lena Riedel). Dass dabei der scheinbar großzügige Berglöwen-Wandler Andrew Milling (herrlich arrogant: Bernard Niemeyer) mitmischt, der es in Menschengestalt zu Macht und Reichtum gebracht hat, wird zu einer echten Herausforderung. Millings zwielichtiger Kumpan Derek (schön brummig: Axel Becker) macht die Sache nicht einfacher.
Jedenfalls wird plötzlich Carags kleine Menschenschwester Melody ­(Anouk Püttmann / Johannah Frädrich) entführt. Glücklicherweise hilft bei der Rettungsaktion auch der Lehrer James Bridger mit. Jan Herrmann spielt nicht nur diesen äußert sympathischen Pädagogen, im tierischen Leben ein Kojote, sondern ebenfalls sehr anrührend Carags Vater. Außerdem gibt das Wapiti-Mädchen Lou (Aminata Condé / Lena Dörr) mit seinem Rudelnetzwerk entscheidende Hinweise bei der Suche. Denn selbstverständlich verfügen auch junge Wandler über Smartphones. Carags menschliche Pflegemutter Anna (überzeugend: Sandra Kernenbach) kann am Ende ihre Tochter beruhigt wieder in die Arme schließen. Aber was ist mit der Fliege, die da ziemlich störend in Carags und Brendons Zimmer herumschwirrt? Gibt es sogar Tripelwandler? Die Story bleibt bis zur letzten Minute spannend.
Begeisterter Premierenbeifall mit Standing Ovations für eine tierisch unterhaltsame Inszenierung und das fabelhafte Darsteller-Ensemble.
Die Vorstellung – nun wieder im JTB-Haupthaus an der Beueler Hermannstraße – wird empfohlen für Publikum ab acht Jahren. E.E.-K.

Spieldauer ca. 2 Stunden, inkl. einer Pause
Die nächsten Vorstellungen:
bis zum 29.05.2022 täglich außer 26.+27.05.

Dienstag, 01.11.2022

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