Sex & Breakfast (Uraufführung) - Kleines Theater - Kultur Nr.172 - Oktober 2022

Spiel hinter verschlossenen Türen – pariserisch

Als Live-Escape-Room war das eigentlich nicht geplant. Eher als kleine Silvester-Flucht aus dem langweiligen Alltag. Paris also, Stadt der Liebe und der Lichter. Ein schickes Apartment mit Jacuzzi-Badewanne, Sauna, üppig gefülltem Kühlschrank und Blick auf den Eiffelturm – Nina und Christian haben für ihren Kurztrip ­zwecks intimer Zweisamkeit echt einen Volltreffer gelandet. Vorsorglich bereits im Juli bei AirBnB gebucht. Weil’s in ihrer Ehe nicht mehr so gut läuft, hat er allerhand Lustspielzeug mitgebracht, was sie ziemlich aufdringlich findet. Es könnte trotzdem recht nett werden, wenn da nicht plötzlich Hannah und Tom auftauchten, die sich offenbar schon vor der Wohnungstür munter auf die Festtage einstimmen. Die beiden haben eben dieses Apartment exakt zur gleichen Zeit für diese Tage gemietet und vom Vermieter denselben Türöffnungs-Code erhalten. Fehler im Buchungssystem, dummer Zufall oder Absicht? So ganz wird diese Frage nicht gelöst in der Komödie Sex & ­Breakfast von Florian Scheibe, die Anfang September im Kleinen Theater Bad Godesberg in Anwesenheit des Autors ihre zu Recht umjubelte Uraufführung feierte.
Zwei gutbürgerliche Paare um die Vierzig, jeweils zwei Kinder kurz vor der Pubertät. Die promovierte Kunsthistorikerin Nina und der Skandinavistikprofessor Christian machen gerade eine Paartherapie. Hannah und Tom, bildungsmäßig leicht unter dem akademischen Niveau ihrer Mitmieter, führen eine anscheinend völlig problemlose offene Zweierbeziehung. Und plötzlich lässt sich die Tür nicht mehr öffnen. Vermieter François wünscht allen per Mobiltelefon schöne Feiertage und ist danach nicht mehr zu erreichen. No Exit: Das Quartett muss sich wohl oder übel zusammenraufen. Der Champagner löst die Zungen, die sorgsam aufgebauten Fassaden bröckeln mit zunehmender Geschwindigkeit. Szenen zweier Ehen, Ingmar Bergman trifft auf Woody Allen. Theaterchef Frank ­Oppermann (Regie und Bühne) hat die brillant geschriebene Psycho-­Komödie selbst inszeniert. Mit genau der ernsthaften Leichtigkeit, die dieses flotte Dialog-Ping-Pong braucht. Im Lauf des Abends zerfallen etliche Lebenslügen, jede und jeder Einzelne hat seine persönlichen Altlasten und Wunschträume.
Das spielfreudige Ensemble bewältigt seine Aufgaben bravourös. Anna Bergman ist die keineswegs naive blonde Realistin Hannah, die dunkelhaarige Judith Speckmaier spielt die sensible Intellektuelle Nina. Manuel Jadue gibt den sportlich selbstverliebten, ehrgeizigen Sprachwissenschaftler Christian, Sebastian Schlemmer den verletzlichen Underdog Tom, der als Matratzenverkäufer nicht den Job seines Lebens gefunden hat und angesichts einer existenziellen Enttäuschung sogar einen finalen Fenstersturz anpeilt. Ohne zu viel zu verraten: Was hilft, ist der Abschied von festgefahrenen Geschlechterrollen und ein ordentlicher Schuss gegenseitiger Empathie.
Dass außer größeren Mengen nobler Alkoholika, echtem Kaviar und anderen Köstlichkeiten auch noch ein Kästchen mit allerhand Rauschmitteln auf die inzwischen reichlich beschwipste, heiter durcheinander gewirbelte Vierergruppe wartet, wäre kaum noch nötig gewesen. Wer ihnen nach dem glückseligen Trip ins neue Jahr heimlich ein klassisches Pariser Frühstück ins verträumte Liebesnest gebracht hat, weiß vermutlich nur Amor persönlich. Waren sie alle nur unfreiwillige Akteure eines sozialpsychologischen Experiments vor ­ver­steck­ten Kameras? Letztlich ist das völlig egal angesichts ihrer liebenswürdigen Bühnenpräsenz vor einem nachdenklich vergnügten Publikum, das die erfrischend moralinfreie Vorstellung mit opulentem Applaus belohnte.

Empfohlen für die reifere Generation, nicht für ­Jugendliche. E.E.-K.

Spieldauer ca. 2 Stunden, inkl. Pause
Die Letzten Termine: 28.-30.09. // 2.10. // 5.-8.10.22

Dienstag, 01.11.2022

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