Wildfire Road (Uraufführung) - Werkstatt - Kultur Nr. 172 - Oktober 2022

Hinterhältiges Katastrophenszenario

Da liegen die beiden nun, seltsam aus Raum und Zeit gefallen, irgendwo im fremden Niemandsland und versuchen zu begreifen, was passiert ist. Dave und Mariella kannten sich erst seit kurzem, als sie beschlossen, zusammen nach Japan zu fliegen. Vielleicht wegen der rotgesichtigen Affen, der heißen Quellen und des Fuji-Berges. Vielleicht wegen der Kultur, möglicherweise für länger. Die British-Airways-Maschine nach Tokio wurde entführt und zur Notlandung irgendwo im sibirischen Tiefland gezwungen. Kein terroristischer Hintergrund, eher eine Rettungsaktion. Denn die Entführerin behauptet, aus der Zukunft zu kommen, während die gegenwärtige Welt von rasant sich ausbreitenden Flächenbränden heimgesucht wird und immer mehr Landstriche unbewohnbar geworden sind.
Die verheerenden Waldbrände, die in diesem trockenen Sommer in Europa und auf anderen Kontinenten wüteten, waren noch nicht Sicht, als die Autorin Eve Leigh (*1984 in New York) ihr Stück Wildfire Road – auf Deutsch: „Flächenbrand“ – schrieb. Die Regisseurin Verena Regensburger, die an den Münchner Kammerspielen erste Inszenierungserfahrungen sammelte, hat in der Werkstatt des Theaters Bonn die Uraufführung als Zweipersonen-Drama auf die Bühne gebracht. Im schlichten Bühnenbild von Marie Häusner beleuchten im Raum verteilte weiße Neonleuchtstangen kühl eine winzige grasbewachsene Insel.
Irgendwas schien von Anfang an nicht zu stimmen, meint Mariella. Das Gesicht des Flugbegleiters sei plötzlich aschebleich geworden. Unter den Passagieren sei auch die Frau der Pilotin gewesen – beide unterwegs in die Flitterwochen. Selbst die Luftfahrt ist weiblicher geworden in Leighs moderner Nomadenwelt. Aus dem Off melden sich andere Fluggäste – im Programmheft benannt nach ihren Platznummern – mit ihren Reisegründen. Bei den per Aufzeichnung eingespielten Stimmen (suggestives Sounddesign: Azhar Syeed) ist fast das ganze Schauspiel-Ensemble beteiligt.
Der kurzweilige, sprachlich und spielerisch witzig-intelligente Abend gehört indes den beiden Akteuren Sören Wunderlich und Sandrine ­Zenner, die in leicht lädierter Alltagskleidung (Kostüme: Veronika Utta Schneider) ihre neue Lage reflektieren. Mit dem anscheinend geretteten Catering-Trolley imitieren sie die Flugzeug-Situation, tauchen zurück in ihre Geschichten und vorwärts in Zukunftsgedanken. Zenner als nüchtern-bodenständige Mariella bleibt dabei vorsichtig gelassen. Wunderlich als Träumer Dave stülpt sich gelegentlich eine Art Raumfahrerhelm über und imaginiert die unausweichlichen globalen Katastrophen. Das Sehnsuchtsziel Tokio weicht der Vorstellung von einem Überlebensort irgendwo.
Wildfire Road ist eine heutige Robinsonade mit ein bisschen Fantasy-Anmutung. Kein Katastrophen-Thriller, keine apokalyptische Panik, keine spektakulären Effekte. Auch keine Happy-End-Romanze. Einfach eine sachliche Untersuchung unserer individuell und historisch nicht besonders zuverlässigen Erinnerungen und unserer schrumpfenden Möglichkeitsräume. Ohne Lehrstück-Pathos und angestrengte Mahnungen zur ökologischen Zeitenwende. Es brennt ja ohnehin schon überall lichterloh. Da hocken sie nun, ratlos sich selbst und der Welt abhandengekommen. Was bleibt, ist verzweifelte Selbstironie. Stürmischer Premierenbeifall für eine leise nachdenkliche Inszenierung. E.E.-K.


Spieldauer ca. 80 Minuten, keine Pause
Nächste Vorstellungen:
7.10. // 20.10. // 5.11. //10.11. // 2.12.22

Dienstag, 01.11.2022

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