Ein Feldlager in Schlesien - Oper - Kultur Nr.171 - Mai/Juni 2022

Ein Feldlager in Schlesien
Foto: Thilo Beu
Ein Feldlager in Schlesien
Foto: Thilo Beu

Schrecken des Krieges, Triumph der Musik

Der theatrale Aufwand ist enorm. Im zweiten Akt ist das preußische Feldlager im Zuschauerraum aufgebaut. Dafür müssen einige Reihen aus dem Parkett auf die Bühne ausweichen. Aufmarsch von Soldaten diverser Waffengattungen und des weiblichen Kriegsgefolges von allen Seiten, Trommelwirbel und Blechbläser von oben aus dem zweiten Rang und der Loge, Banda auf der Bühne, Klangaufruhr im Orchestergraben – der ganze Raum vibriert im Rausch einer atemberaubenden ­Militär­­revue. Klarer Sieger dieses musikalischen Getümmels ist Generalmusikdirektor Dirk Kaftan, der am Dirigentenpult umsichtig den ganzen Trubel fest im Griff behält. Der durch den Extrachor verstärkte Opernchor, einstudiert von Marco Medved, rückt dem Publikum selten so massiv nahe, die unzähligen historischen Kostüme von Sven Bindseil sind ein optisches Highlight, das groß besetzte Beethoven Orchester sorgt für opulente Klanggemälde. Alles virtuos beleuchtet von Max Karbe.
Bis zur zentralen Zelebration von Preußens Glanz und Gloria waren die Proben zu Ein Feldlager in Schlesien schon fortgeschritten, als am 24. Februar der russische Angriffskrieg auf die Ukraine begann und die ganze Inszenierung in Frage stellte. Der Regisseur Jakob Peters-Messer und alle Mitwirkenden haben beschlossen, die Herausforderung anzunehmen und die seit langem an der Oper Bonn im Rahmen des Projekts ­„Fokus ‘33“ geplante Wiederentdeckung von Meyerbeers „Singspiel in drei Akten in Lebensbildern aus der Zeit Friedrichs des Großen“ mit kritischen Distanz-Momenten auf die Bühne zu bringen. Ganz kurz wird ein Redetext des ukrainischen Präsidenten Selenskyj eingeblendet: „Wie kann man eine Kultur hassen? (…) Wir sind verschieden. Aber das ist kein Grund, Feinde zu sein.“ Gewiss wahr, nur ziehen dennoch immer wieder Soldaten in den Krieg gegen angebliche Feinde, seit mehr als zwei Monaten sogar mitten in Europa. Auch der Schlesische Feldzug Friedrichs des Großen war ein Angriffskrieg. Bei allen militaristischen Effekten ist Meyerbeers „Feldlager“, inklusive dem populären „Dessauer Marsch“, der bis heute zum Repertoire deutscher Militärkapellen gehört, jedoch keine schlichte Kriegspropaganda.
Uraufgeführt wurde das Werk am 7. Dezember 1844 zur Wiedereröffnung der im August 1843 abgebrannten Königlichen Oper in Berlin, der heutigen Staatsoper Unter den Linden. Sowohl bei der Ernennung von Giacomo Meyerbeer (1791 – 1864) zum Generalmusikdirektor der Berliner Oper 1842 als auch bei dem Kompositionsauftrag für eine große Fest-Oper hatte der einflussreiche Gelehrte Wilhelm von Humboldt eine entscheidende Rolle gespielt. Von einem internationalen Star wie ­Meyerbeer versprach König Friedrich Wilhelm IV. sich Metropolenglanz für die Stadt, in der fast genau ein Jahrhundert zuvor sein kunstsinniger Vorfahr Friedrich der Große das monumentale Opernhaus hatte errichten lassen. Ein Monument für den als „Alter Fritz“ populären Herrscher sollte das neue Singspiel werden. Für die Verherrlichung Preußens war das Produktionsbudget recht großzügig bemessen. Auch wenn die Toleranz Grenzen hatte: Der von Meyerbeer beauftrage französische Stardramatiker und -librettist Eugène Scribe durfte nicht genannt werden. Als offizieller Textautor fungierte der brave Dichter und konservative Musikkritiker Ludwig Rellstab, der sich ansonsten eher als Meyerbeer-Gegner hervorgetan und Richard Wagners antisemitischer Hetze gegen den berühmten Konkurrenten den Boden bereitet hatte.
Meyerbeers „Feldlager“ avancierte zu einer Art preußischer Nationaloper und wurde gern zu festlichen Anlässen gespielt, bis sie am Ende des 19. Jahrhunderts von den Spielplänen verschwand. Von der komplizierten ­Re­konstruktion des seit 130 Jahren nicht mehr aufgeführten Werkes, von dem es keine gedruckte Partitur gab, berichtet der Verleger Volker Tosta in dem lesenswerten, 247 Seiten starken Programmheft zu der Bonner Neuvorstellung. Die gesprochenen Dialoge sind zusammengestrichen und werden teilweise von dem Schauspieler ­Michael Ihnow präsentiert, der als Chronist fungiert und wie ein Regisseur durch die Szenerie geistert. Als Kontrast zum opulenten Gepränge zitiert er den Brief eines jungen preußischen Soldaten, der von der brutalen Realität auf dem Schlachtfeld berichtet. Am Ende wird das damalige Verbot, Personen aus der Regenten-Familie als Theaterfiguren auftreten zu lassen, doch durchbrochen. Die Fahnen sind zerfetzt, die Soldaten entledigen sich ihrer Kampfmonturen, alle liegen als Kriegsopfer auf dem Boden. ­König Friedrich wandert in preußischer Uniform mit Dreispitz stumm über das von ihm angerichtete Schlachtfeld.
Umrahmt wird das große Gelage von einer anekdotischen Episode aus dem Leben Friedrichs des Großen. Hauptfigur der Geschichte ist der Hauptmann a.D. Saldorf, würdevoll verkörpert und großartig gesungen von dem tiefen Bass Tobias Schabel. Kein alter Haudegen, aber unerschütterlich königstreu. Dass ausgerechnet der Pflegesohn dieses ­Musterpreußen dem Soldatentum gänzlich abgeneigt ist, passt nicht so ganz ins Bild. Der Tenor Jussi Myllis singt den schüchternen Musiker Conrad, der in Berlin erst mal einen bürgerlichen Beruf erlernen soll, mit schönem Stimmschmelz. Auch nicht so ganz ins traditionelle Schema passt seine Verlobte Vielka, Saldorfs selbstbewusste Ziehtochter. Von ihrer Mutter, einer Zigeunerin (damals war das Wort noch erlaubt), hat sie nicht nur die Wahrsage-Gabe geerbt, sondern auch Mut und Intelligenz. Elena Gorshunova spielt und singt brillant die große Sopranpartie, die Meyerbeer eigentlich der legendären „schwedischen Nachtigall“ Jenny Lind zugedacht hatte, was in Berlin aber nicht klappte, mit beein­druckender dramatischer Energie. Vielka setzt Tanz, Gesang und Wein strategisch perfekt ein. Eher lyrisch grundiert ist die Partie von Saldorfs Nichte Theresa, der Barbara Senator ihren wunderbar warm klingenden Sopran leiht. Ihr Geliebter Leopold taucht als Bühnenfigur nicht auf, Saldorfs Neffe weilt nicht nur als Soldat im Krieg, sondern wird wegen eines winzigen, aus Liebe zu Theresa begangenen Vergehens sogar zum Tod verurteilt. Wie es dieser merkwürdigen Familie gelingt, den König unter Einsatz virtuoser Flötentöne vor einer drohenden Gefangennahme zu beschützen, ist ein fast komödiantisches Kabinettstück.
Dramatisch ernst wird es im zweiten Akt, in dem Saldorf plötzlich als Verräter beschuldigt und von der aufgebrachten Menge beinahe gelyncht (der Strick hängt schon vom Bühnenhimmel!) und kurz danach ebenso plötzlich als Retter des Königs bejubelt wird. Letzterer weiß sich zu bedanken. Nach der ländlichen Idylle mit wunderschönen Bühnenprospekten (fabelhafte Bühnenbilder: Sebastian Hannak) im ersten Akt schwebt im dritten ein Rokokozimmer des Schlosses von Sanssouci herab. Es bedarf nur noch einiger Verwirrungen bis zum Happy End. Der hochbegabte Flötist, gütige Landesvater und erste Diener seines Volkes lässt nach einem wundervollen Flötendialog nicht nur zwei glückliche junge Paare zurück. Leopold wird begnadigt und befördert, Conrad erhält eine Stelle in der Hofkapelle. Die hoffnungsvolle Botschaft: Die Musik kann doch viele Grenzen überwinden. Der beliebte Bass Martin Tzonev ist als Tronk anfangs der Anführer der feindlichen ungarischen Reiter, am Ende nach einem überraschenden Seitenwechsel preußischer Hofmeister. Neben den vielen weiteren Gesangssolisten besonders zu loben sind die Soloflötisten Luca Spagnolo und Julia Bremm.
Drei Mal musste die Premiere pandemiebedingt verschoben werden, beim vierten Anlauf konnte die mit viel künstlerischem und wissenschaftlichem Engagement vorbereitete Produktion endlich gezeigt werden. Es hat sich gelohnt, auch wenn diese ebenso opulente wie sperrige große Oper wohl wenig Chancen auf einen festen Platz im Repertoire hat. Leicht erschöpfter, höchst respektvoller Beifall für eine großartige Ensemble-Leistung. E.E.-K.

Spieldauer ca. 4 Stunden, inkl. zwei pausen


Sonntag, 01.05.2022

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