Ernani - Oper - Kultur Nr.171 - Mai/Juni 2022

Ernani
Foto: Thilo Beu
Ernani
Foto: Thilo Beu

Leidenschaft, Ehre und Rache

„Eine Liebe hat in dieser rauen, brachialen Welt keine Chance“, schreibt der Regisseur Roland Schwab im Programmheft zu Verdis 1844 uraufgeführter Oper Ernani. Um die Zuneigung einer jungen Frau konkurrieren hier gleich drei Männer: der politische Rebell Ernani, eigentlich ein Adeliger, der sich einer Banditenbande angeschlossen hat, ihr alter Onkel und Vormund, der sie auf seinem Schloss gefangen hält, und schließlich auch noch der junge spanische König, der später als Kaiser Karl V. das Heilige Römische Reich regieren wird. Verdis frühes Musikdrama, angesiedelt im Jahr 1519 in Aragonien, erzählt eine düstere Geschichte voller unwahrscheinlicher Verwicklungen. Grundlage ist das 1830 in Paris uraufgeführte, längst von den Bühnen verschwundene romantische Schauspiel „Hernani, ou L’Honneur castillan“ von Victor Hugo, das damals einen erbitterten Streit zwischen Traditionalisten und Anhängern einer neuen Dramatik auslöste.
Ernani, im 19. Jahrhundert eins der meistgespielten Werke des Komponisten, wird heute nur noch selten inszeniert. Mit dem vieraktigen „dramma lirico“ begann Verdis fruchtbare Zusammenarbeit mit dem Librettisten Francesco Maria Piave, der dann die Texte zu neun weiteren Verdi-Opern verfasste. Dass Ernani trotz aller dramaturgischen Ungereimtheiten ein wirkliches Meisterstück ist, beweist nun die von ­Publikum und Kritik mit großer Begeisterung aufgenommene neue Produktion der Oper Bonn.
Die Musik hat gewiss noch nicht die Brillanz und psychologische Tiefe der späteren populären Bühnenwerke, aber sie ist ungeheuer kraftvoll und mitreißend. Der musikalische Leiter Will Humburg, ausgewiesener ­Verdi-Spezialist und Initiator der langen Reihe von Wiederentdeckungen früher Verdi-Opern am Theater Bonn, dirigiert das mit Tempo und Nachdruck, präpariert sorgfältig feinste Details der Partitur heraus und sorgt im Orchestergraben für ständige Hochspannung. Das großartig spielende Beethoven Orchester – die Blechbläser zeigen sich auch mal wie eine italienische Banda auf der Bühne – liefert mit hörbarer Lust die ­kontrast­­reiche, emotionsgeladene Klangkulisse zum rasanten Wechselbad der Gefühle. Musikalisch und darstellerisch ein großartiger Hauptakteur ist der durch den Extrachor verstärkte riesige Chor, exzellent einstudiert von Marco Medved.
Roland Schwabs Inszenierung interessiert sich kaum für die historische Datierung der Geschehnisse und verzichtet auch auf naheliegende Aktualisierungen. Sie setzt auf starke Bilder, Massenbewegungen und schnelle Stimmungswechsel. Schwarz dominiert bei den zeitlosen Kostümen von Renée Listerdal. Dunkle Mäntel, Hüte, Uniformen, reichlich Schusswaffen, von denen mitunter auch Gebrauch gemacht wird – es ist eine Welt der Unterdrückung und Gewalt. Im beeindruckenden Bühnenbild von Alfred Peter signalisiert ein großes quader-förmiges Schauplatz-Objekt mit seitlich durchbrochenen Wänden, das mit einem nicht sonderlich stabil wirkenden Untergestell auf die Drehbühne montiert ist, die ständige Absturzgefahr. Es kann Unterschlupf der Banditen sein, im zweiten Teil Elviras Gefängnis in Silvas Burg und am Ende als Ruine ohne Mauern die Terrasse des herzoglichen Schlosses des rehabilitierten Ernani. Der Rest ist sichtbare Theatermaschinerie, desillusionierend wie die ganze nach dem scheinbaren Happy End auf den tragischen Schluss zulaufende Handlung. In Großbuchstaben leuchten im Hintergrund die neuen Szenentitel (im Original-Libretto lauten sie etwas andres) auf, die einem alten Gangsterfilm entstammen könnten: Der Geächtete, Der Pakt des Todes, die Verschwörung und Der Altar der Rache.
Zu einem glanzvollen musikdramatischen Ereignis wird die Aufführung vor allem durch die vier Protagonisten. Der Tenor George Oniani, langjähriges Bonner Ensemblemitglied, verkörpert den Titelhelden mit seiner höhensicheren, metallisch strahlenden Stimme absolut überzeugend. Ein stolzer, ehrgeiziger Edelmann, der nach der Ermordung seines Vaters und der Verbannung aus der Gesellschaft zum Räuberhauptmann wurde. Für seine leidenschaftliche Liebe zu der schönen Elvira und deren Befreiung aus der Gefangenschaft des alten Don Ruy Gomez de Silva ist ihm kein Wagnis zu groß. Der Bass Pavel Kudinov mimt diesen bösen alten Mann, der sich von der Vermählung mit seiner Nichte eine Art Verjüngungskur verspricht, wobei seine agile, volltönende Stimme in deutlichem Kontrast steht zur gebrechlichen äußeren Erscheinung. Der rachsüchtige Greis Silva setzt zwar auf traditionelle Normen wie den Schutz auch ungebetener Gäste, spinnt dabei jedoch sein eigenes politisches Intrigennetz und wird dem Glück der Liebenden seinen letzten Triumph entgegenschleudern.
Großartig gestaltet der Gastsolist Federico Longhi bei seinem Bonn-­Debüt die Bariton-Partie des Don Carlo, der Elvira zu deren Überraschung ebenfalls begehrt. Ein eleganter Verführer, der seine Machtposition nutzt und gewohnt ist zu bekommen, was er will. Das ist allerdings in erster Linie die Kaiserwürde, die er bei der historischen Wahl im ­Aachener Dom auch gewinnt. Trotz der Verschwörung seiner politischen Gegner und der beiden zu seiner Ermordung entschlossenen Liebesrivalen. In der mit Totenköpfen übersäten Kaisergruft wallt viel Bühnennebel, bevor das erlösende Signal ertönt und der junge spanische König als Karl V. den Thron Karls des Großen besteigt. Bevor er in seiner neuen Würde nach oben entschwebt, lässt er auf Bitten Elviras Gnade walten. Seine Gegner lässt er nicht hinrichten, sondern schenkt ihnen die Freiheit. Er gewährt Ernani wieder seine angestammten Herzogsrechte und gibt dessen Eheschließung mit Elvira seinen Segen.
Die große Sopranpartie der von drei Seiten umworbenen Schönen ist eine stimmlich und darstellerisch ungeheure Herausforderung. Yannick-Muriel Noah meistert sie fabelhaft. Sie beherrscht die dramatischen Spitzentöne wie die zärtlichen Lyrismen, alle Facetten verzweifelter Verstörung und funkelnde Belcanto-Verzierungen. Bis das Schicksal bei der Hochzeit unerbittlich zuschlägt. Denn Ernanis Leben liegt in Silvas Hand, seit er ihm am Ende des zweiten Aktes als Pfand ein Horn überlassen hat mit dem Schwur, sich bei dessen Ertönen unverzüglich selbst zu töten. Das Horn erklingt, und als Mann von Ehre muss Ernani sein Versprechen einlösen ...
Roland Schwab gelingt es in seiner Inszenierung, Pathos und Ironie so im Gleichgewicht zu halten, dass die Aufführung stets spannend und unterhaltsam bleibt wie ein gelungener Krimi. Die musikalische Ehrenrettung von Verdis frühem Meisterwerk gelingt ohnehin vorzüglich. Neben den vier hervorragenden Protagonisten sind auch die kleineren Rollen mit ­Ingrid Bartz (Giovanna), Tae-Hwan Yun (Don Riccardo) und Michael Krinner (Jago) ausgezeichnet besetzt. Großer Premierenjubel für ein entschieden hörens- und sehenswertes Opernereignis! E.E.-K.
Spieldauer ca. 2 ½ Stunden, eine Pause

Sonntag, 01.05.2022

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