The Broken Circle - Werkstatt - Kultur Nr.170 - April 2022

The Broken Circle
Foto: Thilo Beu
The Broken Circle
Foto: Thilo Beu

Tragische Love Story als Country Musical

Bluegrass ist die Mutter aller Musik. Und Bill Monroe ist ohne Zweifel der Vater von Bluegrass. Davon ist Didier fest überzeugt. Weshalb er sich gern „Monroe“ nennt. Und Elise kann in Wirklichkeit nur „Alabama“ heißen. Die beiden haben sich gefunden, womit eine wunderbare Love-Story beginnt. Das Amerika der Cowboys und der Country-Musik ist Didiers Traumland, in das er Elise gern mitnimmt. Tatsächlich ist es ein völlig heruntergekommener Bauernhof irgendwo im Ruhrgebiet. Aber alles ist möglich, wenn man schon ein paar Sterne besitzt. Die hat Didiers Vater nämlich seinen Söhnen jedes Jahr zu Weihnachten geschenkt – zugegeben im Vollrausch. Didier und Elise sind selbstbewusste Außenseiter, aber auch eigenwillige Lebenskünstler. Er ist Mitglied einer Bluegrass-Band, ein unerschütterlicher Romantiker und überzeugter Atheist. Sie glaubt fest an Gott, ist eher bodenständig und hat ein Tattoo-Studio aufgemacht, nachdem fast ihre ganze Familie „übern Jordan“, oder wie man ihrem Milieu sagt, „über die Wupper“ gegangen ist.
Auf der Bühne trennt ein diagonal verlaufender schmaler, flacher Fluss die Sphären des ungleichen Paars. Auf beiden Seiten zwischen alten Autoreifen und sonstigem Gerümpel ein kahler Baum. Wasser ist ein ständig präsentes Element in Simon Solbergs Inszenierung (Regie und Bühne) des Dramas The Broken Circle in der Werkstatt des Schauspiels Bonn. Das Theaterstück des belgischen Schauspielers und Regisseurs ­Johan Heldenbergh und der Autorin Mieke Dobbels wurde 2008 mit großem Erfolg in Gent uraufgeführt. International bekannt wurde es durch die Verfilmung in der Regie von Felix Van Groeningen. Die anrührende Beziehungsgeschichte mit ihrem hinreißenden Soundtrack wurde bei der Berlinale 2013 mit dem Panorama-Publikumspreis und dem Europäischen Filmpreis ausgezeichnet und 2014 als bester fremdsprachiger Film für einen Oscar nominiert. 2019 kam die deutschsprachige Erstaufführung am Badischen Staatstheater Karlsruhe heraus.
In der Bonner Vorstellung ist es eine Art Country-Musical voller Lust und Trauer, Glück und Schmerz. Vor allem können Daniel Stock aus dem ­festen Ensemble und Julia Kathinka Philippi (als Gast) einfach fabelhaft singen, sorgsam live begleitet von Philip Breidenbach (Gitarre, Rhythmus und Background-Gesang). „I’ve got country in my genes“ und viele andere Folk-Klassiker, mal trotzig melancholisch gefühlvoll, mal witzig ironisch herbeizitiert, sind das stabile Gerüst der Erzählung. Elise in knappen Jeans-Shorts (Kostüme: Sophie Peters) watet barfüßig durch den Bach, während sie von ihrer bewegten Vergangenheit berichtet. Didier im sportlichen Alltags-Outfit mit robusten Stiefeln ist in praktischen Dingen nicht gerade ein Genie, aber ungemein sympathisch. Wie zwei verspielte große Kinder finden sie zueinander, mimen mitunter auch vergnüglich andere Figuren. Alles ist pure Gegenwart: spontane Liebe, fröhlicher Sex und dann – völlig ungeplant – ein Kind. Die kleine Maybelle erweist sich als genau das Teilstück, das zum perfekten Kreis noch gefehlt hat. Ungetrübtes Familienglück auf dem Land, tolle Musik und ein Himmel voller Sterne.
Ein zusammengeknülltes weißes Laken unter Elises T-Shirt reicht als Zeichen für die Schwangerschaft, ist dann das zärtlich umsorgte Baby und ein paar Jahre später ein weißer Kindersarg. Denn Maybelle wird unheilbar krank und stirbt. Die gemeinsame Leidenszeit in der Klinik ist eine Herausforderung, der Didier gerade noch standhält. Doch die Verzweiflung ist stärker. Gerade in dem Moment, in dem man die partnerschaftliche Zuwendung am nötigsten braucht, zerbricht der von Anfang an fragile Kreis. Nicht an brutalen Schuldzuweisungen oder mangelnder Liebe, sondern an der existenziellen Trostlosigkeit, die zwei verwaiste Eltern wieder in die Vereinzelung katapultiert. In einer der eindrucksvollsten Szenen beschmiert Elise Gesicht und Haare mit einer schlammigen Masse, bis ihr Kopf wie eine Totenmaske erscheint. Das kann auch Didier nicht mehr wegwaschen. Alabama versinkt im Wasser, aus dem Elise einst kam. Das geht tief unter die Haut. Aber es gibt ja noch den Song „If I needed you“ des großen Country-Stars Townes Van Zandt, der mitten ins Herz zielt und hier von Stock und Philippi nach einer emotionalen Achterbahnfahrt so wunderbar interpretiert wird, dass irgendwas in der Welt doch noch Hoffnung bereithält.
Klar: Fast alle literarisch guten Love-Stories enden tragisch. Die trotz allem sehr unterhaltsame Vorstellung hält dabei jedoch eine ausgewogene Balance zwischen Sentimentalität, spielerischer Fantasie und außerordentlicher musikalisch-darstellerischer Qualität. Langer, berührter Premieren-Applaus mit Standing Ovations. E.E.-K.
Spieldauer ca. 1 Stunde 45 Minuten, keine Pause

Freitag, 01.04.2022

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Letzte Aktualisierung: 24.04.2024 21:01 Uhr     © 2024 Theatergemeinde BONN | Bonner Talweg 10 | 53113 Bonn