Maria Stuart - Werkstatt - Kultur Nr.169 - März 2022

Maria Stuart
Foto: Thilo Beu
Maria Stuart
Foto: Thilo Beu

Königinnen-Duell mit Slapstick-Rittern

Ein riesiger weiblicher Kopf dominiert die Bühne in der Werkstatt und wird auch selbst zur Bühne für Marias Bemühen, nach langer Gefangenschaft doch noch ihr Leben zu retten. „Elizabeth“ steht in Großbuchstaben auf der Rückwand und dem Boden. Die Machtverhältnisse sind klar: Elisabeth ist die Herrscherin über England und wird ihre Konkurrentin hinrichten lassen. Der Regisseur Matthias Köhler, der zuletzt in der Werkstatt Tennessee Williams Glasmenagiere inszenierte, bringt ­Schillers Trauerspiel in einen Dialog mit eigens für diese Aufführung verfassten Songs und Kommentarpassagen der mehrfach ausgezeichneten Schweizer Autorin Katja Brunner, einer bekennenden Feministin. „Das Sentiment ist eine altmodische Chose …“ singt Maria. Per Brief hat sie Elisabeth um eine Unterredung gebeten und heimlich auch verschlüsselte Briefe an europäische Herrscherhäuser geschrieben, um doch noch ihre Befreiung zu erwirken. Auf Deutsch, Englisch und Französisch stehen Satzfragmente an den Wänden.
Der 1989 in Jerusalem geborene Ausstatter Ran Chai ­Bar-Zvi hat den Bühnenraum zu einem ‚Sprachraum‘ gemacht, in dem die Blankverse aus Schillers 1800 in Weimar uraufgeführtem Trauerspiel wie ein Echo der klassischen Formstrenge nachklingen. Gebrochen durch einen heutigen Blick auf weibliche Fremd- und Selbstbestimmung. Die Kostüme sind ein Meisterwerk an künstlicher Erscheinung. Birte Schrein als Elisabeth mit weißgeschminktem Gesicht, perlenbesticktem blauem Minireifrock und mit Perlen geschmückter Rothaarperücke bewahrt eiserne Haltung in der höfischen Ränkeschmiede. Heiraten und ihre Gebärmutter für die Staatsraison zu instrumentalisieren, ist keine ­akzep­table Option in ihrem Dasein zwischen politischen Pflichten und persönlicher Verletzlichkeit. Die schöne katholische Schottin Maria, vermutliche Gattenmörderin und begehrter Gegenstand diverser erotischer Männerfantasien, ist nicht nur eine Gefahr für ihre Regentschaft über ein florierendes Reich, sondern auch eine Rivalin im Kampf um die weibliche Attraktivität.
Lena Geyer im schulterfreien gelben Gewand mit seitlich ausladenden kurzen Pumphosen spielt eine Maria, die von Anfang an ihr buchstäblich vorgeschriebenes Schicksal kennt, sich niemandem mehr verpflichtet fühlt und der Zukunft ihre Träume und Tränen zurücklassen will. Bei der legendären Begegnung mit Elisabeth, die historisch nie stattgefunden hat, ist der ganze Wald vollgestellt mit Papp-Doubles der unnahbaren Herrscherin. Elisabeth würdigt Maria kaum eines Blickes, spricht nur noch nach vorn zum Publikum und bändigt hinter ihrer starren Maskerade (nun tatsächlich mit einer Stabmaske bewehrt) ihre wachsende Wut. Marias letzter schwesterlicher Giftpfeil trifft sie schwer: Ein Bastard sei sie und ihre Thronbesetzung illegitim.
Den beiden fabelhaften Protagonistinnen stiehlt indes ein bizarres Herrentrio beinahe die Schau. Markus Bachmann, Nicolas Streit und Klaus Zmorek spielen „alle anderen“, also ein gutes Dutzend beliebig austauschbarer Höflings-Marionetten. Ganz in Weiß von den Rokoko-Schnallenschuhen bis zu den wie Flügel anmutenden Schulterstücken, mit schwarzen Bob-Frisuren im Prinz-Eisenherz-Stil und deutlichen ­maskulinen Attributen tänzeln sie durch die Szenerie, kabbeln sich darum, wer gerade wen spielen darf, plappern devot ihre Komplimente und Denunziationen und wechseln je nach Bedarf die Seiten. Mal bringen sie (ziemlich vertrocknete) rote Rosen, mal rollen sie überdimensionale Plastikperlen wie Kanonenkugeln ins Gefecht, mal tragen sie Madonnenfiguren auf den Händen, mal kämpfen sie mit knallgrünen Aktenordnern. In diesem akrobatischen Intrigantenballett verliert sogar die herrische Elisabeth beinahe die Contenance und ihr unerschütterliches Gesicht samt Toupet.
Die Puppenstubenidylle in Marias Hinterkopf und die schwesterliche Einladung zu einem Gin-Tonic samt Friedensschluss helfen nichts mehr. Madonnas „Like a Prayer“ (Musik: Philipp Plessmann) auch nicht. Draußen murrt das Volk und verlangt eine Entscheidung. Elisabeth mag das Todesurteil nicht unterschreiben und will die Verantwortung ihrem bürokratischen Apparat überlassen. Ihr berühmtes lebensgroßes Porträt im weißen Kleid, gemalt von Marcus Gerards fünf Jahre nach Marias Enthauptung, erscheint wie eine Jahrmarktsattraktion mit ausgeschnittenem Antlitz, dem sie ihr Gesicht nur noch leiht.
Die intelligente Comic-Version des weiblichen Kampfes um Staatsmacht und persönliche Würde und des Wettstreits der ungemein beweglichen männlichen Günstlinge um ihren politischen Status ist ein spielerisches Bravourstück. Schillers bekanntes Drama liefert dabei die Spiegelfolie für einen desillusionierten Blick auf die Figuren. Spannend bis zum Schluss und sehr sehenswert! E.E.-K.
Spieldauer ca. 2 Stunden, keine Pause

Dienstag, 01.02.2022

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