Heart of Darkness - Euro Theater Central - Kultur Nr.168 - Januar/Februar 2022

Höllenfahrt in die Finsterniss von Wahnsinn und Barbarei

Unter die Haut geht auch die 1899 erschienene Erzählung Heart of ­Darkness des polnisch-britischen Autors Joseph Conrad. Jens Heuwinkel hat diese Geschichte von der brutalen Ausbeutung des afrikanischen Kontinents als großen Monolog in der englischen Originalsprache inszeniert. Der in London ausgebildete bilinguale Schauspieler Johannes Neubert verkörpert mit fabelhafter Bühnenpräsenz den Erzähler und all die anderen Figuren auf der Schiffsreise ins neblig finstere Herz des zentralafrikanischen Dschungels. Das suggestiv beleuchtete Bühnenbild von Anne ­Storandt mit von der Decke hängenden Eisenketten, Metallrohren und Bootsgerätschaften, die auch für perkussive Einsätze taugen, schafft eine Atmosphäre dauernder Bedrohung. Der Seemann Marlow heuert bei einer Handelsgesellschaft als Kapitän eines kleinen Flussdampfers an, um auf einer Station am Oberlauf des Kongo den geheimnisvollen Mister Kurtz zu treffen, der ungeheure Mengen von Elfenbein für den europäischen Markt liefert. Als scheinbar neutraler Beobachter berichtet er von den barbarischen Grausamkeiten der Kolonialherren gegen die einheimische Bevölkerung. Es gibt auch komische Momente, bis er endlich auf den todkranken Kurtz trifft, der sich tief im Urwald sein eigenes Reich aus Magie, Wahnsinn und brutaler Gewalt geschaffen hat und sich von den Menschen wie ein Idol verehren lässt. Schwankend zwischen Faszination und Abscheu kehrt Marlow zurück nach Europa. Kurtz‘ seit Jahren sehnsüchtig auf dessen Heimkehr wartenden Braut wird er die Illusion vom humanen Heldentum des Verstorbenen nicht rauben.
Heuwinkels eindrucksvolle Inszenierung kommt ohne plakativen Antirassismus und Antikolonialismus aus, sondern erzählt mit starken Bildern und einem exzellenten Protagonisten eine komplexe Geschichte aus einer Vergangenheit, die unmittelbar in die Gegenwart des 21. Jahrhunderts fortwirkt. Manche Bonner Zuschauer werden sich noch erinnern an die Theateradaption des Stoffes in der Regie von Jan-Christoph Gockel 2015 mit einem Schiff als markantem Bühnenelement in der Halle Beuel. Die sehr dichte Vorstellung im ETC beleuchtet Conrads wirkungsmächtigen Text mit einem geschärften Blick auf die Ambivalenz der eurozentristischen Zivilisation. E.E.-K.
Spieldauer ca. 2 Stunden, keine Pause

Samstag, 01.01.2022

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