Komplexe Väter - Contra Kreis Theater - Kultur Nr.168 - Januar/Februar 2022

Komplexe Väter
Foto: Contra-Kreis-Theater
Komplexe Väter
Foto: Contra-Kreis-Theater

Heiteres Familientheater

Gattin Ute findet Antons schwarzen Rolli völlig unpassend für den Anlass. Zu spießig existenzialistisch, total unkreativ. Allein das verbale Gefecht ums richtige männliche Outfit öffnet schon eine ganze Beziehungskiste. Ute teilt ihr Leben seit über einem Vierteljahrhundert mit dem 25 Jahre älteren Anton, der die 70 längst überschritten hat. Nun will die 25-jährige Tochter ihrer Mutter und ihren beiden Vätern ihren neuen Freund vorstellen. Eher soll sie es, denn die Mama, die ihr erwachsenes Kind zu dessen Leidwesen immer noch „mein Kleines“ nennt, hat die Regie übernommen für den möglichen Friedensschluss zwischen dem Erzeuger und dem Erzieher Nadines. Was ihr erwartungsgemäß ziemlich bald entgleitet. Alte Väter, Patchworkfamilien – René Heinersdorff, einer der meistgespielten deutschen Komödienautoren (mittlerweile hat er 19 Stücke verfasst, acht davon waren bereits im Bonner Contra-Kreis zu erleben), hat „Komplexe Väter“ vor allem seinen langjährigen alten Freunden Jochen Busse und Hugo Egon Balder auf den Leib geschrieben. Beide sind übrigens selbst späte Väter.
Die beiden langgedienten TV-Veteranen und von etlichen Contra-Kreis-Aufführungen bestens bekannten Bühnenschauspieler erweisen sich als hinreißendes Komödiantenduo, das sich virtuos die Dialogbälle zuspielt: Jede der fast im Minutentakt zündenden Pointen ist ein Volltreffer. Busse, der im Januar seinen 80. Geburtstag feierte, ist der bildungsbürgerlich konservative, sportlich trainierte, sorgfältig frisierte Patriarch Anton, der den Genitiv noch ebenso sicher beherrscht wie seine Gefühle. Auch wenn ihm gelegentlich beim wütenden Schlagabtausch die Zornesröte ins Gesicht steigt, wobei der Nase eine spezielle dramatische Funktion zukommt. Balder, Jahrgang 1950, mimt den schlaffen Althippie Erik mit ergrauter Zottelmähne, leicht gebückter Haltung und müdem Zynismus. Mit ihm drehte die damals noch junge Ute einst eine „Ehrenrunde“, deren Produkt Nadine wohlbehütet von Mutter und Ziehvater zur eigenwilligen jungen Frau heranwuchs.
Alexandra von Schwerin, vor etlichen Jahren Ensemblemitglied am Schauspiel Bonn, spielt die attraktive Mittfünfzigerin Ute mit kühlem Charme, einer Prise romantischer Naivität und kaum zu stoppendem Redefluss. Josepha Walter gibt bei ihrem Contra-Kreis-Debüt überzeugend das selbstbewusste Töchterchen eines väterlichen Doppelpacks, das beim Erscheinen des Schwiegersohns in spe in einen Krisenmodus verfällt und alle Streitigkeiten beiseiteschiebt. „Unsere Tochter“ soll nicht die Fehler der erfahrenen Generation wiederholen. René Heinersdorff hat sein 2018 in Hamburg uraufgeführtes Erfolgsstück nicht nur selbst inszeniert, sondern spielt auch Nadines Lover Björn. Der betritt nicht nur im geschmacklich zweifelhaften karierten Anzug (Kostüme: Romy Cordes/Andrea Gravemann) mit einer Flasche Champagner unterm Arm die Kampfarena, sondern ist auch mehr als doppelt so alt wie seine neue Flamme und außerdem noch verheiratet.
Mit seinen intellektuellen Diskursen macht er die alten Herren erst mal fast sprachlos und probt dann als professioneller Psychiater mit ihnen eine Familienaufstellung. Daraus wird eine irre Slapstick-Nummer, bei der Heinersdorff sich als Regisseur zudem noch selbst parodiert. Welche Rolle eine erfahrene Frauenärztin namens Elena in dem zunehmend engmaschigen Beziehungsnetz aus diversen Vaterkomplexen spielt, sei hier nicht verraten. Jedenfalls ist sie deutlich älter als ihr Gatte und scheint über erstaunliche logistische Fähigkeiten zu verfügen. Auf der sparsam möblierten Bühne gibt die flotte Inszenierung vor allem den begnadeten Streithähnen Anton und Erik viel Raum zur sprachspielerischen und mimischen Typenzeichnung. Busse und Balder sind ein Traumpaar in der lebenssatten Komödie aus der unübersichtlichen Familien-Konfliktzone. Vor allem der ungemein bewegliche Jochen Busse, der seine gestelzten Sätze mit solch hinterhältigem Ernst zelebriert, dass es dem begeisterten Publikum ständig Lachtränen in die Augen treibt. Für seine Rolle des Anton wurde er 2019 zu Recht als bester Darsteller nominiert für den prominenten „Faust“-Preis.
Fulminanter Applaus für die intelligente Komödie und das brillante Schauspielerquintett. E.E.-K.

Spieldauer ca. 2 Stunden, inkl. einer Pause
Die nächsten Vorstellungen:
tägl. außer montags und Neujahr bis zum 16.01.2022

Samstag, 01.01.2022

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Letzte Aktualisierung: 26.04.2024 21:01 Uhr     © 2024 Theatergemeinde BONN | Bonner Talweg 10 | 53113 Bonn