Die Schule der magischen Tiere - Junges Theater - Kultur Nr.166 - Oktober 2021

Die Schule der magischen Tiere
Foto: Junges Theater Bonn
Die Schule der magischen Tiere
Foto: Junges Theater Bonn

Fantasie und Empathie

Es gibt sie, diese magischen Tiere, auch wenn eigentlich nur Kinder sie wahrnehmen können. Für die meisten Erwachsenen bleibt ihre Existenz ein Geheimnis. Magische Tiere können sprechen und sind manchmal recht eigenwillig. Genau wie die Kinder, denen sie geschenkt werden. Dafür zuständig ist der merkwürdige Mortimer Morrison, der aus Schottland stammt, eine magische Zoohandlung betreibt und mit seinem alten Omnibus die ganze Welt bereist, um die seltenen Geschöpfe zu sammeln. Aktuell ist er mit seiner ständigen Begleitung, der magischen Elster Pinkie, im Polargebiet unterwegs und trifft einen Pinguin, der perfekt in seinen Zoo passen würde. So beginnt das neue Theaterstück im Jungen Theater Bonn (JTB) und macht gleich von Anfang an die Konstellation so klar, dass sie bei aller Fantastik fast selbstverständlich erscheint.
Der deutschen Autorin Margit Auer (*1967) ist mit ihrer Erfindung der „Magischen Tiere“ eine Kinderbuch-Bestsellerserie gelungen, die seit 2013 Millionen von Leseanfänger/innen (tatsächlich Mädchen und Jungen gleichermaßen) erreicht. Ohne großen erzählerischen ­Roman­aufwand oder eine opulente Fantasy-Konstruktion, sondern nur mit einer feinen Sensibilität für die realen Probleme ihrer Figuren, in denen fast jedes Kind etwas von sich selbst wiederfindet. Dem Regisseur Nick Westbrock (*1992 in Gießen und gleichermaßen im Schauspiel und im Musiktheater aktiv) ist in seiner ersten Inszenierung am JTB das Kunststück gelungen, mit vielen komödiantischen Elementen genau die Überschneidung von Wirklichkeit und Illusion sinnfällig zu machen.
Die als Handpuppen erscheinenden magischen Tiere sind fabelhaft präsent in der ansonsten ziemlich normalen Wintersteinschule. Zugegeben, der ehrgeizige Direktor Siegmann (Jan Herrmann) ist so beschäftigt mit seiner Kohlrabizucht, dass ihm manche Ereignisse entgehen. Die neue Lehrerin Miss Cornfield (Andrea Brunetti) wirkt jedenfalls ziemlich durchgeknallt, sieht in ihrem langen Gewand (Kostüme: Katharina ­Kastner) ein wenig so aus wie ein Relikt aus fernen Hippietagen und scheint didaktisch nicht ganz auf der Höhe der Zeit zu sein. Im Übrigen ist sie die Schwester des skurrilen Globetrotters Mortimer (Christian Steinborn), was etliche Einsichten jenseits des üblichen ­Unterrichts­stoffes verspricht. Die erwachsenen Ensemble-Mitglieder führen auch die Tierfiguren und leihen ihnen köstlich individuelle Sprechweisen.
Im Klassenzimmer auf der Bühne von Ann-Sophie Paar, die auch für das Puppendesign verantwortlich zeichnet, herrscht ständig Bewegung. Da ist Ida (Ingrid Bergmann, alternierend mit Frida Hefczyk), neu in der Klasse, etwas unsicher und ein leichtes Opfer für die überhebliche Angeberin Helene (Clarissa Jochem / Judith Hiller). Der eitle freche Jo (Lukas Kirchhoff / Jakob Impekoven) genießt seine Position als Klassenprimus und Mädchenschwarm. Benni (Ingrids Zwillingsbruder Alfred Bergmann / Benedikt Zalfen) ist sportlich kein As und auch sonst nicht der Fixeste, aber der erste, der mit einem magischen Tier beschenkt wird: der Schildkröte Henrietta (Brunetti). Und plötzlich wachsen sein Selbstvertrauen und damit seine Leistungen. Ida gewinnt mit dem klugen Fuchs Rabbat (Steinborn) einen Freund, der ihr mit sanftem Nachdruck manches begreiflich macht. Helene wird schließlich der hochnäsige schwarze Kater Karajan („von Karajan bitte, soviel Zeit muss sein“) zugesellt. Jan Herrmann macht aus dem tierisch arroganten Pariser Luxusgeschöpf nicht nur eine sprachliche Glanznummer, sondern auch einen guten Begleiter zur nicht mehr ganz so rosigen Wirklichkeit von Helenes Familie. Ihre Mutter (Sandra Kernenbach, auch als krächzender Vogel Pinkie im Einsatz) geht jedenfalls weiter auf Shoppingtour, auch wenn das Geld längst nicht mehr für die Villa mit Swimmingpool reicht.
Das Stinkbombenrezept des frustrierten Jo sei hier ebenso wenig verraten wie sein echt cooles magisches Tier. Die aufklärende Taschenlampen-Party in der Schule wird sehr spannend. Die magischen Tiere lassen sich zwar nicht einfach dressieren, sind aber mitunter geniale Partner bei der Selbstfindung. Nicht nur für Kinder, die aus ihren Schwächen und Stärken eine eigene Persönlichkeit entwickeln müssen. Die Uraufführung der Bühnenfassung von Tristan Berger, musikalisch feinsinnig unterstützt von der leisen Klangmagie des Komponisten Danyal Dhondy, berührt ohne aufdringliche Moral mit viel Witz und Empathie. Herzlicher langer Beifall, getragen auch von der Freude darüber, dass das JTB endlich wieder in seinem Theatersaal spielen kann. E.E.-K.

Spieldauer ca. 2 Stunden, inkl. einer Pause
Empfohlen für Publikum ab 7 Jahren.
Das JTB besetzt die Plätze weiterhin auf Abstand, auch der Service in den beiden Cafés bleibt noch eingeschränkt.
Die Nächsten Termine: 9.10. / 10.10. / 5.11. / 7.11. / 26.11. / 27.11.

Freitag, 01.10.2021

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