Monsieur Pierre geht online - Contra Kreis Theater - Kultur Nr.166 - Oktober 2021

Monsieur Pierre geht online
Foto: Contra-Kreis-Theater
Monsieur Pierre geht online
Foto: Contra-Kreis-Theater

Der alte Mann und die Poesie im Internet

Monsieur Claude, Monsieur Henri und nun Monsieur Pierre – im französischen Familienkino sind die bürgerlichen alten Herren sehr beliebt. Sie liefern gute dramatische Stoffe, auch für die Bühnen. Monsieur Pierre hat abgeschlossen mit sich und der Welt. Seit dem Tod seiner geliebten Gattin, mit der er über fünfzig Jahre lang verheiratet war, hockt er einsam in seiner Pariser Wohnung, trauert der guten alten Zeit nach, isst zu wenig, tröstet sich mit Hochprozentigem und pflegt seinen verbitterten Sarkasmus: „Europa ist am Ende. Klarer Fall für die Schrottpresse!“
Der Film Monsieur Pierre geht online von Stéphane Robelin kam 2017 heraus und ist in der deutschen Bühnenfassung von Folke Braband mittlerweile ein vielgespielter Theaterhit. Im Bonner Contra-Kreis-Theater hat der Chef Horst Johanning selbst das heitere Drama inszeniert: elegant leichtfüßig, voller Esprit und Herzenswärme. Und mit einem großartigen Ensemble, das jede der vielen kleinen Szenen mit spielerischer Lust und feinem Sprachwitz zum Leuchten bringt.
Allen voran Christian Wolff, Jahrgang 1938 wie seine Bühnenfigur Pierre, vielen Fernseh-Zuschauern bekannt durch seine jahrzehntelange Präsenz im „Forsthaus Falkenau“ und schon mehrfach zu Gast im Contra-Kreis. Sein Monsieur ­Pierre grantelt bissig über die Welt und seine Mitmenschen, strapaziert mit seiner abgetragenen alten Strickjacke ­(Kostüme: Anja Safaan) und vergammeltem Essen im Kühlschrank die Nerven seiner fürsorglichen Tochter Sylvie (wunderbar als Multitasking-Talent zwischen Familie und Beruf: Simone Pfennig) und mutiert plötzlich zum charmanten älteren Herrn im feinen Anzug mit besten Manieren. Denn um Pierre aufzumuntern, hat Sylvie ihm ihren alten Laptop geschenkt. Die neue digitale Welt sorgt für ungeahnte Überraschungen. Als analoger Internet-Lehrer fungiert Alex, erfolgloser Schriftsteller und aktueller, dem Großvater noch unbekannter Freund der Enkelin Juliette (mit entzückender Girlie-Ausstrahlung: Noelle Fleckenstein). Weil Alex mit seinen Szenarien für Horrorfilme leider nichts verdient, ist das junge Paar zurück ins Hotel Mama gezogen. Im Bühnenbild von Tom Grasshof und mit der Videoanimation von Martin Bross klappen die Schauplatzwechsel zwischen den gutbürgerlichen Domizilen mit Blick auf Eiffelturm oder Montmartre vorzüglich.
Patrick Wolff (im wirklichen Leben Christian Wolffs Sohn) spielt herrlich komisch den verkannten Dichter, der seine neue Aufgabe recht widerwillig angeht, aber den Widerstand des alten Herrn gegen die moderne Kommunikationstechnik im Nu bricht. Per Skype verbunden zu sein mit Juliettes Ex-Lover David, der gerade in Shanghai an seiner Karriere feilt, hat echt was. Schnell entdeckt Pierre zudem ein Dating-Portal und damit die bezaubernde junge Flora (hinreißend ernsthaft: Kim Zarah Langner), die er mit sprachlich geschliffenen romantischen Fantasien hellhörig macht. Als feinsinniger Sinologe „Pierrot le fou“ ist der pensionierte Vulkanologe plötzlich nicht nur Jahrgang 1983, sondern schickt seiner neuen Flamme auch noch ein Foto des nichtsahnenden Alex. Ein amüsantes Kabinettstück ist die Autobahnfahrt nach Brüssel, wo Alex beim ersten Date prompt mit Flora im Bett landet.
Weil bekanntlich ganz Paris von der Liebe träumt, ist folglich ein Treffen dort fällig: in der Wohnung von Alex‘ frisch verliebtem ‚Opa‘ Pierre. Wie in jeder guten Komödie folgt der Moment der Wahrheit. Mit perfektem Happy-End – selbstverständlich unter dem üblichen Schutz der Privatsphäre. Flora, von Beruf Physiotherapeutin, was Sylvie zu allerhand bösen Spekulationen über „Masseusen“ verleitet, liebt nämlich beide: den romantischen, weißhaarigen Sprachkünstler Pierre und den sympathisch sensiblen Glatzkopf Alex. Belesene Zuschauerinnen und Zuschauer werden sich bei dem Verwechslungsspiel an Rostands unsterblichen Cyrano de Bergerac erinnern. Online geht die kurzweilige Geschichte mit ihren köstlichen verbalen Konnotationsverschiebungen vom 20. ins 21.Jahrhundert jedoch gut aus. Auf Pierrots Bildschirm erscheint „Brigitte la belle“, verführerisch rothaarig und in etwa Pierres Altersklasse. Marianne Rogée saß bei der Premiere im Publikum, das die kurzweilige Aufführung sichtlich genoss. Intelligente Unterhaltung mit einem brillanten Schauspieler-Quintett und ein gelungener Saisonstart im Contra-Kreis. E.E.-K.

Spieldauer ca. 2 Stunden, inkl. einer Pause
Die nächsten Vorstellungen:
tägl. außer montags bis zum 17.10.21

Zum Schutz der Besucher/innen gibt das Contra-Kreis-Theater trotz seines ausgefeilten Hygienekonzepts noch nicht alle Plätze frei. Auch die ­Gastronomie ist reduziert. Es gibt Getränke nur in Flaschen, keine Gläser.

Freitag, 01.10.2021

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