Ludwig! Jetzt mal unter uns - Haus der Springmaus - kultur 164 - März 2020

Gelungenes musikalisches Infotainment

Viele sind Beethoven. Der mit den grauen Locken und dem markanten roten Schal, so wie der Maler Joseph Karl Stieler ihn 1820 in seinem berühmtesten Porträt (Stielers prominentes Goethe-Bild von 1828 rutscht 2020 auf der Hitliste etwas nach hinten) präsentierte. Allein im Januar begegnete uns Ludwig beispielsweise schon in Gestalt des ehemaligen Bonner Oberbürgermeisters Jürgen Nimptsch bei der posthumen Auszeichnung des großen Komponisten mit dem Bröckemännche, der ehemaligen Bad Godesberger Bezirksbürgermeisterin Annette Schwolen-­Flümann (bei der dringend fälligen Verleihung des Mäuseordens an den unermüdlichen Vorsitzenden des Vereins „Bürger für Beethoven“ Stephan Eisel im Haus der Springmaus) und regelmäßig als versierter Musikkenner Konrad Beikircher.
Nun erscheint auch Andreas Etienne als unser Ludwig. Er hat sorgfältig recherchiert und verschmilzt geradezu mit der Rolle des in Bonn herangereiften Universalgenies. Sein Beethoven darf freilich auch mal lachen, sich lustig machen über seine Marken-Verwertung, die grinsenden „Püppche“ auf dem Marktplatz und seine teure Halle, die er gern froher begrüßen würde. Nun ja, an manchen Werken hat er ja auch selbst jahrelang gefeilt. Der Bönnsche Jung Beethoven also, hochbegabter Hofmusiker mit Hang zu Rheinwein, Mädels, bürgerlichen Utopien usw. Man erfährt eine Menge Wahres und Erfundenes über den weltbedeutenden Komponis­ten in der heiteren Infotainment-Show. Vielsagende Anekdoten, witzige szenische Miniaturen: eine heiter-respektvolle Revue, die keinen Denkmalsockel stürmt, sondern liebevoll einen Menschen präsentiert. Beethoven ist hier sympathisch unter uns, bleibt aber ein widerständiger Geist mit scharfen Kanten, der sich gegen jedes anbiedernde „unter uns“ sperrt.
Von Loriot könnten die beiden nicht mehr ganz jungen Konzertbesucherinnen stammen, die ihre Tickets einem Preisrätsel verdanken (überraschendes Lösungswort „Fidelio“!). Etienne und der vielseitige Bassbariton Christoph Scheeben geben ein reizendes Seniorinnenduo, das nicht nur Konzertrituale auf seine Weise kommentiert, sondern auch das Parfüm der Nachbarin: im Abgang etwas pastoral.
Zur Glanznummer gerät Scheebens Interpretation der kurzen Ariette „Der Kuss“ (op.128) inkl. aller Interpunktionszeichen des poetisch bescheidenen Textes. Nebenbei erklärt er am Flügel noch einiges zur klassischen Sonatenform und zu medizinischen Forschungen: Herzrhythmusstörungen bei der Appassionata (bitte nicht verwechseln mit einer Pferdeshow), depressives cis-Moll im Mondschein, Tinitus für Elise und jede Menge Wut über verlorene Groschen, arrogante Geldgeber, zögerliche Verlage, nutzlose Gehörhilfen und eigenwillige Biografen. Dann mag Ludwig doch lieber mal fetzigen Samba oder schickt freundliche Grüße an die heutige Popmusik.
Perfekt zu Diensten sind dabei der international gefragte Pianist Darko Kostovski und die bezaubernde Geigerin Lisa Schumann, die zu jeder Tonart auch noch ein passendes Kleid mitgebracht hat. Die beiden Musiker sind nicht nur virtuose Klangkünstler, sondern auch schauspielerisch so hellwach, dass das Zuschauen genauso viel Spaß macht wie das Hinhören. Der Einsatz des Publikums als Chor klappte bei der ausverkauften, mit herzlichem Beifall bedachten Premiere nur mäßig, aber am Ende summten alle doch leise die unvermeidliche Freuden-Ode mit. Sehr schön, ohne Götterfunken-Pathos – eben Ludwig unter uns.
Tickets für die erfrischend unspektakuläre Annäherung an den vergötterten Titanen sind jetzt schon rar. Aber die von der Beethoven-Jubiläumsgesellschaft geförderte Produktion ist ja haltbar bis mindestens Ende 2020. Wegen der großen Nachfrage gibt es bereits mehrere Zusatztermine. E.E.-K.

Spieldauer ca. 2½ Stunden, inkl. einer Pause
Die nächsten noch nicht ausverkauften Vorstellungen: 26.04. // 24.06.20

Montag, 04.05.2020

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