Draußen vor der Tür - Kleines Theater - kultur 161 - Dezember 2019

Draußen vor der Tür
Foto: Kleines Theater Bonn
Draußen vor der Tür
Foto: Kleines Theater Bonn

Trümmer einer kurzen Hoffnung

Immerhin lebt er noch. Die Elbe hat ihn nur kurz in ihre feuchten Arme gezogen. Sirenen, Geschützdonner, feuerrotes Licht: Der Zweite Weltkrieg ist zwar vorbei, aber in Beckmanns Kopf tobt er weiter. Beckmann ist nach dreijähriger Gefangenschaft in Sibirien in seine Heimatstadt Hamburg zurückgekehrt. Die Menschen haben das Grauen verdrängt, Beckmann irrt durch eine Welt von flacher Gleichgültigkeit und stört mit seiner Verweigerung des Vergessens. Beckmann sieht die Welt durch seine alte Gasmaskenbrille, die alle für eine merkwürdige Maskerade halten. Beckmann ist kein Held, aber er stellt schmerzhafte Fragen. Am Ende wird er wie ein dunkler Schatten in einem hell erleuchteten Türrahmen stehen und weiter verzweifelt nach Antworten verlangen.
Wolfgang Borcherts einziges bedeutendes Theaterstück Draußen vor der Tür gilt als das deutsche Heimkehrerdrama schlechthin und gehörte über Jahrzehnte zum literarischen Unterrichtskanon. Der Autor hat viel von seinen eigenen Erfahrungen in dem Werk verarbeitet. Er starb mit 26 Jahren einen Tag vor der Uraufführung am 21. November 1947 an den Hamburger Kammerspielen. Im Kleinen Theater gelingt es dem Hausregisseur Stefan Krause, das bis heute vielgespielte Stück von seiner Verhaftung in einem bestimmten historischen Augenblick zu befreien. Die Bühnenbearbeitung von Hanno Dinger verzichtet auf die allegorischen Momente und reduziert das expressionistische Pathos des Textes auf seinen lakonischen Kern. Krauses Bühnenbild mit einem von zwei Holzstegen flankierten schmalen Gang evoziert Schützengräben, die immer wieder verlockende Elbe und die Gosse. Leere Türrahmen markieren die Stationen von Beckmanns Weg durch die Trümmer seiner Hoffnungen. Am Ende jeder Szene kippen sie um und zeigen an ihrem Fuß ein weißes Kreuz auf schwarzem Grund. Ein plakatives Bild für die Vergeblichkeit. Ansonsten geht die Inszenierung eher sparsam mit Symbolen um.
Mike Reichenbach spielt den „Anderen“, der als ernüchterter Ja-Sager seinen Schützling Beckmann immer wieder in die Wirklichkeit zurückzuholen versucht, als zeitlosen Entertainer. Janosch Roloff verkörpert eindrucksvoll den an Leib und Seele kriegsversehrten Beckmann im grauen Soldatenmantel und zerschlissenen Stiefeln. Ein hartnäckig Suchender, kein romantischer Melancholiker. Den ihm begegnenden Figuren hält er immer wieder ein Mikrofon vor, was ihre Aussagen geschickt über das Private hinaushebt.
Sehr berührend gibt Leonie Houber die junge Frau, die den fast schon Ertrunkenen aus dem Fluss fischt, um ihn liebevoll zu wärmen. Dazwischen steht jedoch das einbeinige Gespenst ihres vermissten Gatten (Yannick Hehlgans als schlechtes Gewissen auf energisch pochenden Stelzen), der Beckmann an sein eigenes Schicksal und das zahlloser anderer gemahnt. Beckmanns Baby starb im Bombenhagel, seine Frau heiratete einen neuen Mann. Richard Hucke gibt beklemmend genau den jovialen Oberst, der die Frage nach seiner Verantwortung überhaupt nicht begreift, ­Beckmanns Klage als kabarettreife Nummer lachend missversteht und ihm gnädig einen abgetragenen Anzug anbietet. Jutta Dolke spielt die arrogante Frau Kramer, die mit ihrem Mann in die Wohnung von ­Beckmanns Nazi-Eltern einzog, nachdem diese sich ihrer Schuld durch Suizid entzogen hatten.
Als zynischer Kabarettdirektor glänzt Frank Baumstark, der ebenso wortreich wie verlogen für die Wahrheit der Kunst, vorzugsweise ihren Marktwert plädiert. Da gelingt der Inszenierung ein echter Kunstgriff: Beckmann zitiert bei seiner Bühnenbewerbung Borcherts großen Antikriegs-Aufruf: „Da gibt es nur eins: Sag nein!“ Und fällt selbstverständlich durch. Aber sein naiv-rebellischer Auftritt geht unter die Haut wie die ganze Aufführung, die sehr aktuell eigene Verantwortung für Frieden und Gerechtigkeit einfordert. Wir dürfen uns in unserer scheinbar so sicheren, saturierten Welt nicht daran gewöhnen, dass draußen vor der Tür der Schrecken weitergeht. Nachdenklicher Beifall bei der fast ausverkauften Premiere. E.E.-K.

Spieldauer ca. 2 Stunden, inkl. Pause
Nur noch täglich bis zum 28.11.19
Dringend empfehlenswert auch für
Schüler*innen ab Jahrgangsstufe 8.


Mittwoch, 08.01.2020

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