Minna von Barnhelm - Schauspielhaus - kultur 159 - Oktober 2019

Minna von Barnhelm
Foto: Thilo Beu
Minna von Barnhelm
Foto: Thilo Beu

Kinderspiel mit Winkekatze im rosa Zirkus

Der preußische Major Tellheim hat im Krieg und dem folgenden Frieden alles verloren. Nun hockt er trotzig da, barfuß mit ­nacktem Oberkörper und grüner Unterhose und will von der Welt nichts mehr wissen: kein König, keine Gerechtigkeit, keine Braut. Ein bisschen infantil erscheint Tellheims Starrsinn durchaus. Seine soldatische und bürgerliche Ehre hat man ihm genommen, der einstige Held ist ein völlig gebrochener Mann. Verletzt an Leib und Seele, ohne Geld und voller Selbstmitleid. Gestrandet in einem Gasthof bei Berlin und gerade aus seinem schönen Quartier in eine Abstellkammer verbannt, weil das Zimmer anderweitig gebraucht wird. Vergeblich versucht sein treuer Diener Just, ihn anzukleiden. Vergeblich versucht sein ehemaliger Wachmann Werner, ihm mit Geld in Plastikbeuteln auszuhelfen. Der von der Welt bitter enttäuschte Menschenfeind Tellheim (literarisch nah verwandt mit Molières ­Misanthrope) reißt sich lieber einen kostbaren Ring quasi aus dem Herzen, um seine Schulden zu bezahlen und weiter sein Schicksal zu beklagen. Alois Reinhardt spielt den Major Tellheim, durch den das ganze Spiel in Gang gesetzt wird, mit trotziger Energie.
Lessings 1767 uraufgeführtes Lustspiel Minna von Barnhelm ist eine der berühmtesten Komödien der diesbezüglich nicht gerade reichen klassischen deutschen Dramatik. Und das erste Gegenwartsstück, denn es spielt kurz nach dem Ende des Siebenjährigen Krieges. Goethe nannte es „die erste aus dem bedeutenden Leben gegriffene Theaterproduktion, von spezifisch temporärem Gehalt“. Wie transportiert man diesen mehr als 250 Jahre alten Gehalt ins 21. Jahrhundert?
Das Schauspiel Bonn hat zu seiner Saisoneröffnung die junge Regisseurin Charlotte Sprenger (*1990, Tochter einer bekannten Schauspielerfamilie) mit der Aufgabe betraut. Es ist die erste große Bühnenarbeit des vielversprechenden Talents, das als Regieassistentin in Köln den Bonner Schauspieldirektor Jens Groß auf sich aufmerksam machte und mittlerweile auch an renommierten Häusern in ganz Deutschland arbeitet. Bei der Personenführung gibt’s noch ein paar Unsicherheiten, aber sie vertraut dem Drama. Es ist also Lessings Sprache (manche Pointen funktionieren erstaunlich zeitlos, die üblichen Kalauer sind recht hübsch), die hier ganz textgetreu auf die Bühne kommt und einen witzigen Kontrast bildet zu der kunterbunten Kinderspielplatz-Welt der munteren Minna. Was um Himmels willen soll das blöde Getue um die Ehre (und um die fehlende Knete), wenn man verliebt ist und zudem noch schwerreich?
Geldscheine fliegen übrigens häufig herum auf der Bühne von ­Aleksandra Pavlovic, die auch die opulenten Kostüme entworfen hat. Tellheims männliche Welt ist versperrt mit einer hohen eisernen Wand. Dahinter öffnet sich jedoch bald Minnas heitere Spielzeugmanege: eine Zirkusarena ganz in Rosa mit riesigen Ballonbällen und ein bisschen phallischen Luftgebilden. Minna hat flugs ihren geliebten Tellheim wiedergefunden und feiert das wie eine Kindergeburtstags-Party im künstlichen Traumland. Die Uniformen der ehemaligen Soldaten haben kurze Hosen und weiße Krägen wie aus der Puppenkiste. Die riesigen weißen Reifrock-Brautkleider schwanken so bewegungsstörend, dass die Frauen dann doch lieber im knappen Sportdress herumhüpfen.
Annika Schilling verkörpert brillant die eigenwillige, selbstbewusste Popstar-Minna, die bloß spielen möchte. Ihr zur Seite steht Annina ­Euling als schnippische Kammerjungfer Franziska. Sören Wunderlich als braver Paul Werner lässt sich angesichts ihrer koketten Avancen nicht lange bitten. Christian Czeremnych als fürsorglicher Just berührt mit seiner selbstlosen Anhänglichkeit. Klaus Zmorek hat mit seinem ­Inter­mezzo als intriganter französischer Höfling Riccaut de la Marliniere im Torero-Gewand einen gnadenlos komischen Auftritt. Das Ereignis der Aufführung ist freilich Bernd Braun in der Rolle des Wirts. Glatzköpfig im langen Glitzerkleid gibt er den schmierigen Spitzel, der im Krieg gelernt hat, sich durchzuschlängeln zwischen wechselnden Allianzen. Das ist keine Travestie, so wie die ganze Inszenierung auch nicht festklebt an naheliegenden Genderklischees.
Eine riesige chinesische Winkekatze darf dazu mit den Augen zwinkern und am Ende weißen Soap-Schaum aus ihrem Maul spucken. Kurz zuvor schien das Spiel schon vorzeitig beendet mit einem Patt zwischen dem elendssüchtigen Tellheim und dem Spaßgirl Minna mit Pippi-Langstrumpf-Energie. Aber dann hängt das ganze Team zu Vogelgezwitscher noch mal rum unter oder auf einer golden schimmernden Bettdecke und spielt lustvolle Hippie-Seligkeit beim Frühstück im Grünen. Dennoch muss die Sache mit den Ringen noch irgendwie in Ordnung gebracht werden, damit Tellheim endlich sein Glück kapiert. Der Lebensverweigerer wird noch Einiges daran zu knacken haben, dass die Strippenzieherin Minna ihn in die Zivilisation zurückgeführt hat. Franziskas Zukunft ist dagegen klar: Generalin oder Witwe, denn der nächste Krieg kommt bestimmt.
Die mitunter etwas zähe Aufführung (bei der Premiere ergriffen mehrere Gäste die Flucht) war leider kein überzeugender Saison-Auftakt. Politisch und gedanklich harmlos, fröhlich verspielt, aber immerhin ein intelligenter Versuch über eine alte komödiantische Spielanordnung aus junger Sicht. Also nicht komplett für die Katz. Animierter Applaus. E.E.-K.

Spieldauer ca. 3 Stunden inkl. einer Pause
Die nächsten Vorstellungen:
25.09. // 28.09. // 6.10. // 9.10. // 19.10. // 25.10.

Donnerstag, 10.10.2019

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