In and Out Hannah Arendt - Werkstatt - kultur 158 - Juli 2019

In and Out Hannah Arendt
Foto: Thilo Beu
In and Out Hannah Arendt
Foto: Thilo Beu

Drei selbstbewusste Frauen

Bei der Lektüre der Akten des Eichmann-Prozesses in Jerusalem habe sie manchmal laut gelacht, erklärte Hannah Arendt 1964 in einem Fernseh­interview mit Günter Gaus. Die selbstbewusste politische Theoretikerin, der die Welt das geflügelte Wort von der „Banalität des Bösen“ verdankt, nannte den gehorsamen Funktionsträger des Hitlerfaschismus verächtlich einen „Hanswurst“. Arendt war die erste Frau in der legendären ZDF-Sendereihe „Zur Person“. Im Hintergrund eingeblendete Ausschnitte aus dem TV-Gespräch (damals war Fernsehen noch Schwarz-Weiß und Kettenrauchen vor der Kamera erlaubt) bilden das Gerüst der Inszenierung In and Out Hannah Arendt des Nachwuchsregisseurs Emmanuel ­Tandler.
Maria Strauch (Bühne und Kostüme) hat dafür einen großen, nach vorne offenen Kasten hingestellt, der an einen alten Röhrenmonitor erinnert. Darin weiße Männertorsi, einer kopflos. Über die Wände flimmern per Video (Frederik Werth) rätselhafte Bildfragmente. Von außen erscheinen zwei weitere Figuren: Wie Arendt Frauen mit jüdischen Wurzeln, umstrittene Schriftstellerinnen und kritische Denkerinnen. Tandler, der auch die Textfassung aus Zitaten, Berichten und fiktiven Dialogen collagiert hat, lässt Susan Sontag und Elfriede Jelinek die von Arendt ausgelegten Fäden dialektisch weiterspinnen. Im wirklichen Leben sind die amerikanische Intellektuelle und die österreichische Dichterin sich ziemlich fremd geblieben, in ihrem Bleistiftgebiet aber doch recht nahe. Schönes Spielmaterial sind die riesigen (phallischen) Bleistifte im Kabinett der abgründigen Denk- und Redebruchstücke.
Annina Euling glänzt mit markanter schwarzer Mähne als New Yorker Szene-Star Sontag und rollt sich für große Auftritte gleich eine Tribüne nach vorn. Sie ist die weltgewandte, vielsprachige Menschenrechtsaktivistin, Kriegsbeobachterin, Autorin wichtiger Essays zu Kunst und Gesellschaft, Erfinderin des Camp-Cliquen-Mainstreams mit deutlichem Hang zu gesellschaftlichem Glamour.
Mit der bekennenden Trümmerliteratin Jelinek teilt sie die wütende Ironie. Lena Geyer spielt die krankhaft menschenscheue, wortgewaltige Nobelpreisträgerin einfach grandios zwischen provokantem Sarkasmus, poetischer Sensibilität und dem Rückzug auf ihren mit bunten Kuscheltieren gepolsterten Hängeschaukelsessel. Eine brillante Sprachakrobatin, die auch mal eine ferngesteuerte Plüschratte über die Bühne sausen lässt, bis die beiden Darstellerinnen einträchtig in Zinkbadewannen aus der Kinderzeit hocken und die mehrfach eingesetzte Nebelmaschine den Blick auf die Gegenwart (Trumps Große Mauer und Pussy Riots Punk-Gebet in Moskau müssen vorkommen) umwölkt.
Die intelligent-unterhaltsame Aufführung ist eher ein klassisches literarisch-satirisches Totengespräch zwischen eigensinnigen Frauen als ein feministisches Pamphlet, wobei wir uns von der sehr lebendigen „Miss Jelinek“ noch Einiges aus ihrer polemischen Wortwerkstatt erwünschen dürfen. Hannah Arendt – souverän geistreich, diskursiv schlagfertig, an der Genderthematik nur peripher interessiert – würde ihrer tiefen Stimme sicher ein neues Lachen ­ent­locken. Angeregter Premierenbeifall, insbesondere für die beiden hervorragenden jungen Schauspielerinnen. E.E.-K.

Spieldauer ca. 1 ½ Stunden, keine Pause
Zur Zeit gibt es keine weiteren Termine.

Donnerstag, 05.09.2019

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